"Inflation zieht wieder an"; "Preise steigen immer schneller", war gestern in den Nachrichten zu lesen. "Futter für die AfD?" fragt gar der Tagesspiegel. Ich würde ganz anders titeln: Nahrungsmittelpreise fallen! Energie billiger als vor einem Jahr, trotz Ende der Preisbremse!
Denn die gestern veröffentlichten Zahlen vom Statistischen Bundesamt zu den Teuerungsraten im Mai bergen eine Menge guter Nachrichten: Lebensmittel kosten weniger als im April und haben sich im Vergleich zum Vorjahr um nur 0,6 Prozent verteuert. Molkereiprodukte und Gemüse sind sogar deutlich billiger geworden. Auch die Energiekosten befinden sich im Sinkflug und dämpfen so die allgemeine Preissteigerung. Die geht vor allem auf verteuerte Dienstleistungen zurück: Bus und Bahn etwa, Gastronomie und soziale Einrichtungen.
Unterm Strich ist die Inflation im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozent gestiegen und liegt damit bei 2,4 Prozent. Im internationalen Vergleich ist das ein sehr guter Wert.
Nirgendwo ist die Lage so dramatisch wie in Argentinien, wo die Inflation aktuell bei fast 300 Prozent liegt. Die Türkei ist mit 75 Prozent trauriger Spitzenreiter in Europa. In Afrika betrug die Inflation 2023 im Schnitt gut 16 Prozent. Zum Vergleich: Im deutschen Rekordjahr 2022 verteuerte sich das Leben um 6,9 Prozent, woraufhin die Bundesregierung eine Inflationsprämie beschloss.

Ich bin immer wieder schockiert, wenn ich bei meinen Reisen als Geschäftsführerin des Vereins „GEO schützt den Regenwald“ lokale Märkte besuche: In armen Ländern ist das Leben längst nicht mehr billiger als bei uns. In der äthiopischen Kleinstadt Bonga kostet zum Beispiel ein Huhn umgerechnet 25 Euro. Ein deutsches Bio-Huhn ist billiger. Für ein Kilo Tomaten werden in Bonga zwei Euro verlangt - fast so viel wie in meinem Hamburger Supermarkt. Ein Liter Milch kostet 1,20 Euro.
Ein Tageslohn für ein Stück Seife und ein Schulheft
Die Inflation in Äthiopien liegt derzeit bei 24 Prozent. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Weizen und Mais haben sich in den letzten zwei Jahren jedoch mehr als verdoppelt, die für Öl, Bananen und Kohl mindestens verdreifacht. Vieles ist für die Menschen unerschwinglich geworden. Denn ein Tagelöhner verdient nur 3,50 Euro am Tag. Gerade genug, um ein Stück Seife und ein Schulheft zu kaufen. Für eine Schuluniform – Pflicht ab der 5. Klasse – müssen Eltern mindestens 30 Euro bezahlen. Kein Wunder, dass mehr als die Hälfte aller Kinder auf dem Land die Schule nicht abschließen.

Unser Projekt liegt in der fruchtbaren Region Kaffa. Die meisten Familien dort leben als Selbstversorger und müssen daher nicht hungern. Wie schnell sich das jedoch ändern kann, habe ich kürzlich in Sambia (Inflationsrate: 14,7 Prozent) erlebt: Eine Dürre hat im Süden die gesamte Ernte zerstört. In ihrer Not produzieren jetzt alle Familien Holzkohle, zum Verkauf an die Städter. Ihr Tageslohn: etwa 1,20 Euro.
Die Preise für Nahrungsmittel sind aber ähnlich hoch wie in Äthiopien – oder wie in Deutschland. Um ein Kilo Reis zu kaufen, müssen die Menschen einen Tag arbeiten, für Zucker fast zwei Tage. Als ich eine Bäuerin fragte, wann sie zuletzt gegessen hat, antwortete sie: "vor drei Tagen".
An diese Menschen muss ich immer denken, wenn bei uns über steigende Preise geklagt wird.