GEOplus: Herr Professor Bertram, worin besteht für Eltern heute die größte Herausforderung?
Professor Hans Bertram Sie müssen weitaus mehr leisten als ihre Eltern und Großeltern. Manche meiner Altersgenossen werden über diese Feststellung den Kopf schütteln, doch Zahlen belegen dies eindeutig. In der Nachkriegszeit arbeiteten Männer durchschnittlich 48 Stunden pro Woche – das war die Zeit, die eine Familie der Arbeitswelt zur Verfügung stellte. Heute beträgt die Arbeitszeit einer verheirateten Mutter 30 Stunden, Ehemänner arbeiten im Mittel etwa 42 Stunden in der Woche. Gemeinsam ist das Elternpaar also pro Woche 72 Stunden lang im Beruf aktiv. Und da sich diese Zeit auf zwei Menschen verteilt, erhöht sich automatisch für eine Familie der Aufwand, den Alltag zu organisieren. Da wundert es nicht, dass der Stress zunimmt.
Sie sprechen oft von einer überforderten Generation.
Damit meine ich vor allem die 30- bis 45-jährigen Männer und Frauen. Sie sind überlastet, weil ihnen alles gleichzeitig abverlangt wird: Sie sollen im Beruf Höchstleistung bringen, Karriere machen, eine Familie gründen und sich fürsorglich um Kinder kümmern, um denen wiederum einen Start in ein erfolgreiches Leben zu ermöglichen.
Zwar nimmt inzwischen jeder dritte Vater Elternzeit – was eine gute Entwicklung ist. Doch im Mittel bleibt der männliche Elternteil dem Berufsleben nur für knapp zwei Monate fern: Er muss halt beruflich am Ball bleiben. Aber eben auch so viel wie möglich Vater sein, seine weiche Seite zeigen.
Dieser Spagat zwischen Arbeit und Familie, Partnerschaft und Freizeit zwingt junge Eltern oft zum Outsourcing: Unter anderem müssen Tagesstätten und Tagesmütter oft die Lücke füllen, die ursprünglich zum Kerngeschäft der Familie gehörte. Doch je mehr man nach außen verlegt, desto mehr muss man dies auch organisieren, der Aufwand steigt.
Waren nicht die Eltern der heutigen Eltern, deren Aufgabe es war, Deutschland nach dem Krieg wieder aufzubauen, auf ihre Weise ebenso überfordert?