Gedächtnis Besser lernen: Warum unser Gehirn Gesellschaft braucht

  • von Carlotta Wagner
Illustration von zwei Personen im Gespräch
Soziale Interaktionen verstärken die Gedächtnisbildung. Ursache ist der Kontakt von zwei Hirnarealen
© stellalevi / Getty Images
Soziale Interaktionen stärken nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch unser Gedächtnis. Forschende zeigen, welches Hirnareal dabei den Unterschied macht

Der Sitznachbar morgens im Bus, die Kollegin an der Kaffeemaschine, die Mitschülerin in der Pause – sie alle können dafür sorgen, dass wir uns Dinge besser merken. Die Idee, dass wir Ereignisse langfristiger abspeichern, wenn sie mit sozialen Begegnungen verknüpft sind, ist nicht neu. Forschende der National University of Singapore haben nun entdeckt, warum dem so ist.

Soziale Reize aktivieren ein kleines, oft übersehenes Areal in unserem Gehirn, genannt CA2. Diese Region steht in direktem Kontakt zu anderen Bereichen des Hippocampus, unserer Gedächtnis-Schaltzentrale. Die Nervenzellen dort leiten Informationen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis weiter.

Die CA1-Neuronen im Hippocampus speichern und verarbeiten vor allem räumliche und episodische Informationen. Die nun im Fachjournal "PNAS" veröffentlichte Studie zeigt: Diese Neuronen werden durch soziale Reize über das Areal CA2 angeregt – und verwandeln so Erlebnisse in bleibende Erinnerungen.

Neue Gesichter stärken das Gedächtnis

Im ersten Schritt untersuchten die Forschenden, wie soziale Reize und Gedächtnis zusammenhängen. Dafür ließen sie Mäuse fünf Minuten mit einer neuen oder bekannten Maus interagieren, bevor die Tiere eine Aufgabe absolvieren mussten. Die Mäusen erhielten einen Stromschlag am Fuß, wenn sie von einer sicheren Acrylplattform auf ein Metallgitter traten. So sollten sie lernen, das Gitter und damit den schmerzhaften Reiz zu meiden.

Bei der Messung des Lernverhaltens zeigte sich: Mäuse, die zuvor eine neue Maus kennengelernt hatten, erinnerten sich deutlich besser an diese Aufgabe als Mäuse, die eine Bekannte getroffen hatten. Das zeigte sich auch auf molekularer Ebene: Nach einer Woche sozialer Interaktion wiesen die Mäuse mit neuen Kontakten erhöhte Mengen eines Proteins auf, das dabei unterstützt, Erlebnisse vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis zu überführen. 

Um zu untersuchen, welche Rolle das Hirnareal CA2 dabei spielt, schaltete das Team vorübergehend die Neuronen dieser Region chemisch ab. Ergebnis: Mäuse mit blockierten CA2-Neuronen profitierten nicht vom gedächtnisstärkenden Effekt sozialer Interaktion. Nur Mäuse mit aktivem CA2, die eine neue Maus getroffen hatten, zeigten über mehrere Tage eine verbesserte Gedächtnisleistung.

Dabei spielt das Timing eine zentrale Rolle: CA2 muss vor CA1 aktiviert werden, um Gedächtnisspuren zu erzeugen. 15 bis 30 Minuten sozialer Interaktion vor der Lernaufgabe wirkten besonders stark, während kürzere oder deutlich längere Intervalle weniger Effekt zeigten.

"Soziale Aktivität ist in unseren neuronalen Schaltkreisen einprogrammiert"

Da die Studie an Mäusen durchgeführt wurde, ist sie womöglich nicht vollständig auf den Menschen übertragbar. Dennoch weisen die Hippocampusstrukturen von Mensch und Maus große Ähnlichkeiten auf. Auch lag der Fokus in der Studie auf dem Kontakt mit unbekannten Individuen. Welche Rolle vertraute Gesichter spielen, bleibt unklar. Diese können jedoch besonders über ihre emotionale Bedeutung Erinnerungen hervorrufen und stärken, schreiben die Studienautoren. Ihre Versuche liefern keine Erkenntnisse dazu: Eine Kontrollgruppe mit Mäusen, die keinerlei soziale Kontakte hatten, gab es nicht.

Die Ergebnisse weisen dennoch darauf hin, dass sozialer Austausch unsere Gedächtnisbildung verstärken kann, vor allem, wenn er dem Lernen vorausgeht. Das unterstreicht, wie sinnvoll Lerngruppen oder Diskussionen für die Festigung von Wissen sein können. "Soziale Interaktion ist nicht nur eine Wohlfühlaktivität", sagt Studienautor Sreedharan Sajikumar. "Sie ist eine biologische Notwendigkeit, die die Funktionsweise des Gehirns direkt verändert. Sozial aktiv zu sein ist in unseren neuronalen Schaltkreisen einprogrammiert.”

Effektiver lernen: Vier Tipps, wie wir unsere Gedächtnisleistung steigern
© deagreez - Adobe Stock
Effektiver lernen: Vier Tipps, wie wir unsere Gedächtnisleistung steigern
© Bild: deagreez - Adobe Stock

Zwischenmenschliche Kontakte als Schutz vor Demenz

Die Untersuchung zeigt außerdem: Der gedächtnisfördernde Effekt sozialer Reize ist zeitlich begrenzt und hängt von der Intensität der Erfahrung ab – regelmäßige soziale Interaktion bleibt daher wichtig. Die Studie könnte erklären, warum Menschen, die isoliert oder einsam leben, häufiger unter Gedächtnisverlust und Erkrankungen wie Demenz leiden.

Das kann auch Ansätze für Therapie und Prävention bieten. "Wenn wir verstehen, wie soziale Erfahrungen den Hippocampus formen, können wir gezielt eingreifen, um das Gedächtnis gefährdeter Gruppen zu stärken", sagt Studienautor Mohammad Zaki Bin Ibrahim. Mögliche Therapien könnten Medikamente, Gehirnstimulationen oder eine Änderung des Lebensstils sein, welche die erinnerungsfördernde Wirkung sozialer Erfahrungen nutzen  und so die Verbindung zwischen den Hirnarealen stärken.