Geologie Bernstein aus der Tiefsee zeugt von prähistorischen Tsunamis

Gestein von der japanischen Insel Hokkaido: Der Bernstein (oben) schmiegt sich ans Sediment; das Harz war also noch formbar, als es auf den Meeresboden sank
Gestein von der japanischen Insel Hokkaido: Der Bernstein (oben) schmiegt sich ans Sediment; das Harz war also noch formbar, als es auf den Meeresboden sank
© Aya Kubota
Der Bernstein auf der Insel Hokkaido bildete sich vor 115 Millionen Jahren am Meeresgrund. Forschende glauben: Monsterwellen spülten damals Baumharz aus Küstenwäldern ins Meer

Plötzlich ist das Wasser da. Riesige Wellen rauschen ans Ufer. Die Fluten drängen in den Wald, zerschmettern Baumstämme, entwurzeln Pflanzen. Als sie sich zurückziehen, reißen sie ihre Beute mit aufs offene Meer. Die Trümmer des Waldes sinken in die Tiefe. Viele verrotten. Doch manche werden in den folgenden Jahrmillionen Teil des Meeresbodens – und schließlich Teil einer Insel.

Der hier beschriebene Tsunami ereignete sich vermutlich vor 114 bis 116 Jahrmillionen. Doch seine Spuren sind bis heute sichtbar – in Form von fossilem Baumharz, von Bernstein. Geologinnen und Geologen entdeckten die goldbraunen Ablagerungen auf der japanischen Insel Hokkaido durch Zufall. Der Bernstein ist in Felsformationen eingebettet, die zur Kreidezeit am Grund eines Meeres lagen. Er unterscheidet sich deutlich von den rundgeschliffenen Schätzen, die beispielsweise nach Winterstürmen an die Küsten von Nord- und Ostsee gespült werden. Denn der Bernstein auf Hokkaido ist mit dem darunterliegenden Sandstein verbunden. An der Grenze zwischen den Materialien sind Wellen und Verwirbelungen zu erkennen.

Wie gelangt frisches Harz in die Tiefsee?

Die Strukturen verraten Geologinnen und Geologen, dass sich hier zwei weiche Sedimentschichten vermischten. Das Baumharz war also frisch und formbar, als es auf den Grund der Tiefsee sank. Das ist bemerkenswert, denn an der Luft verdunsten seine flüchtigen Bestandteile innerhalb von Tagen bis Wochen. Aya Kubota vom National Institute of Advanced Industrial Science and Technology und ihr Team vermuten deshalb, dass mehrere Tsunamis über einen Zeitraum von zwei Millionen Jahren hinweg große Mengen Harz aus den Küstenwäldern ins Meer spülten. Ihre Erkenntnisse legen sie in der Fachzeitschrift "Scientific Reports" dar.

Treibholzreste, die im Gestein eingeschlossen sind, stärken ihre These. Zu jener Zeit, als Tsunamis die Küstenwälder heimsuchten, kollabierte in der Region außerdem eine gigantische Karbonatplattform. Korallen hatten die Kalkstruktur im flachen Wasser geschaffen. Riesige Blöcke des zerborstenen Riffs sind bis heute auf Hokkaido und benachbarten Inseln zu finden. Es sei daher plausibel, dass es vor rund 115 Millionen Jahren "am östlichen Rand Eurasiens zu schweren Erdbeben mit Tsunamis kam", folgert das Autorenteam.

Normalerweise ist Bernstein berühmt dafür, Insekten und Pflanzenteile über Jahrmillionen zu konservieren. Als Zeuge urzeitlicher Tsunamis tritt er nun zum ersten Mal in Erscheinung. Die gewaltigen Naturkatastrophen, ausgelöst durch Seebeben oder Asteroideneinschläge, sind normalerweise schwierig zu rekonstruieren. Erstens tragen Wind und Wasser ihre Ablagerungen an der Küste schnell ab. Zweitens sind ihre geologischen Spuren schwer von jenen zu unterscheiden, die beispielsweise Wirbelstürme hinterlassen. Die meisten Belege vergangener Tsunamis stammen deshalb aus dem Holozän, den letzten elftausend Jahren der Erdgeschichte. Die Bernsteinablagerungen bieten eine Möglichkeit, auch länger vergangene Flutkatastrophen zu untersuchen.