Mit Roger fing alles an. Die Haut von der Sonne gegerbt und den Trapperhut ins Gesicht gezogen, so lehnte er lässig an der Bar von "Crabby Bill’s Restaurant" am Strand von St. Pete Beach. Seine alten Stiefel hatten ihn offensichtlich schon weit getragen. Wir redeten und tranken Bier, nach dem dritten erzählte Roger von seinem letzten Einsatz: Gut 70 Kilometer sei er gelaufen, durch Kiefernwälder und Wildnis. "Der Weg ist jetzt wieder gut in Schuss."
70 Kilometer zu Fuß durch Florida? Warum tut man sich so etwas an, frage ich ihn verblüfft. "Den Trail sichern", sagt er knapp. "Damit die Leute wandern können." Dass mitten durch den Sunshine State ein hunderte Kilometer langer Fernwanderweg verläuft, hatte ich nicht gewusst. Und ohne meine Bar-Begegnung mit einem "Tree-Hugger" - so nennen Amerikaner Ökoaktivisten wie Roger - wäre ich wohl nie auf die Idee gekommen, mir ein Stück "Florida Trail" zu erwandern.
Schwarzbären im Gebüsch
Es ist ein sonniger Tag im Januar, als ich südlich vom Lake Okeechobee durch das Gebiet "Big Cypress South" stapfe, mit Rucksack auf dem Rücken und Schweiß auf der Stirn, es sind 29 Grad im Schatten. Ich wandere. Und wundere mich. Über Geräusche vor und hinter mir, die so fremd sind, dass ich sie nicht einordnen kann. Wachteln im Gebüsch? Wildschweine? Oder ein Schwarzbär? Gibt’s alles hier. Aber am meisten wundere ich mich aber mich selbst, den Neuling, der das Laufen im Gelände wohl noch lernen muss: Gut, dass niemand dabei war, als ich vorhin bis zu den Knien in weichem Morast eingesunken bin.
Floridas Besonderheit - die Vielfalt von Flora und Fauna - lässt sich auf dem Wanderweg eindrucksvoll erleben. Gerade noch durch einen lichten Wald gelaufen, geht es ein paar hundert Meter weiter hügelab und dann durch sumpfi ges Terrain. Sägepalmen, Riesenfarne, die feuerroten Blüten einer Bromelie - als würde ich durch eine urzeitliche Welt laufen. Einige Kilometer weiter dann Serengeti-Gefühl: trockenes Präriegras, so weit das Auge reicht.
Das Einmalige an Florida ist der schnelle Wechsel der ökologischen Systeme. Schon wenige Höhenmeter können die Landschaft verändern. Meine Füße tragen mich 25 Kilometer an diesem Tag, ich bin müde, aber zum Schlafen ist es zu schön. Lieber hocke ich vor dem Zelt, unter sternenklarem Himmel, in dem das Siebengestirn zum Greifen nah scheint. Von so einer Nacht hat Florida-Trail-Gründer Jim Kern sicher geträumt, als er 1966, begleitet von einem Reporter des "Miami Herald", das erste Stück Weg in die Wildnis des Big-Cypress-Nationalparks schlug.
Auf alten Indianerpfaden und Handelsrouten wandern
Mittlerweile sind viele Wanderregionen erschlossen worden: Der Florida Trail verläuft auf ehemaligen Handelswegen der Spanier und auch auf alten Indianerpfaden. Im Gulf Islands National Seashore West durchquert man Dünengebiete, der Lake Okeechobee wird auf einem Deich umrundet. An der Bradwell Bay bei Tallahassee kommen selbst Geübte nur langsam voran - doch Ökoaktivisten wie Roger schlagen mit Macheten wieder Schneisen ins Dickicht.
Er und viele andere sind Helfer der Florida Trail Association (FTA). Tausende Arbeitsstunden leisten die Mitglieder jedes Jahr, um Wanderern Zugänge in die Naturparadiese zu öffnen. Damit sich niemand verläuft, weisen orangefarbene Schilder die Hauptstrecken aus, blaue kennzeichnen die Nebenstrecken. Manchmal führt eine Route sogar über das Privatgelände einer Ranch. Dann ist es ratsam, sich vorab bei der Florida Trail Association anzumelden, die den Farmer informiert, dass Besuch im Anmarsch ist. Auch 40 Jahre nach dem ersten Machetenschlag ist der Florida Trail noch nicht vollendet. Denn Ziel ist es, das Big- Cypress-Schutzgebiet im Südwesten mit der Gulf-Islands-National-Seashore-Region im Nordwesten zu verbinden: zu einem 2100 Kilometer langen, ununterbrochenen Wanderweg. Roger, da bleibt noch viel zu tun.
Weg- und Wanderinfos
Florida Trail Association, 5415 SW 13th Street, Gainesville, Florida, Telefon 352/378 88 23,