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Andalusien Karneval in Andalusien: Cádiz steht Kopf

Die fünfte Jahreszeit dauert in Andalusien volle eineinhalb Monate und wird ganz anders gefeiert als am Rhein. Die Karnevals-Jecken tragen hochgeschlossene Kostüme und bützen nicht - dafür singen sie den Tanguillo, bis der Wagen wackelt

Inhaltsverzeichnis

Der Karneval vor dem Karneval

Auf dem verschlungenen Weg zu unserem Treffpunkt huschen bereits wilde Hummeln, Hexen, Prinzessinnen und Schlümpfe um die Häuserecken und grinsen mich an. Die geschmückten Straßen sind übersät mit Konfetti, von Bäumen und Balkonen hängen bunte Luftschlangen vom Vortag, an dem der große Karnevalsumzug, die "Gran Cabalgata", durch die Straßen von Cádiz zog. Wer glaubt, dass es das damit nun gewesen sein soll, der irrt.

Ich ahne schnell, dass dieser Morgen nur der leise Beginn eines weiteren prallen, närrischen Tages in Cádiz ist, auf den sich die Stadt ein ganzes Jahr lang vorbereitet hat. In der andalusischen Hafenstadt wird der größte Karneval auf dem spanischen Festland gefeiert. Bunt, laut, einzigartig, vor allem aber: gut anderthalb Monate lang!

Andalusien: In Cadiz heißt es "Feliz Carnaval!". Und im Vordergrund steht ganz klar die Musik
In Cadiz heißt es "Feliz Carnaval!". Und im Vordergrund steht ganz klar die Musik
© Dörte Nohrden

Wie verabredet, treffe ich Pedro vor dem Rathaus in der Altstadt. Um ihn zu finden, muss ich zweimal hinsehen, erspähe ihn schließlich mit seiner Gitarre in einer kunstvollen, den Maya nachempfundenen Chorkluft. Freudig-spanische Begrüßung, Küsschen links, Küsschen rechts, "Hola hola, que tal"? In einer bereits gut gefüllten Tapasbar erzählt mir Pedro enthusiastisch von den vorherigen, wilden Tagen des Karnevals, vor allem von seinen vielen Auftritten, während mir das Mittagsbierchen bereits zu Kopfe steigt.

Eigentlich lebt er im circa 50 Kilometer entfernten Küstenort Conil de la Frontera und betreibt dort ein Fischgeschäft, das er schon seit Wochen nur noch zwischen Tür und Angel führt. Seit Monaten pendelt der Gitarrist und Sänger für die zahlreichen Proben des "Coro 2012" nach Cádiz, seit Beginn der Auftritte im Januar fast täglich. Dieser Stress scheint seine unbändige Energie und Karnevalslust keinesfalls zu schmälern, im Gegenteil: "It´s my big hobby". Er liebt und lebt den Karneval, spielt seit seinem 16. Lebensjahr Gitarre und hat in verschiedensten Gruppierungen mitgesungen.

Andalusien: Früh übt sich, wer ein wahrer Gaditano werden will: Jecker Nachwuchs in den Straßen von Cádiz
Früh übt sich, wer ein wahrer Gaditano werden will: Jecker Nachwuchs in den Straßen von Cádiz
© Dörte Nohrden

Seit September letzten Jahres probt die gut 50 Mann und zwei Frauen starke Sangestruppe für den großen musikalischen Karnevalsauftakt, der bereits im Januar mit einer großen Party eingeläutet wurde. Seit dieser Zeit fiebere ich dem "Coro 2012" mit, verfolge ihre Auftritte online, bewundere ihre prächtigen Kostüme, versuche den Überblick über die unzähligen, lustigen Sanges-Formationen zu bewahren und auch nur Bruchteile ihrer Texte zu verstehen.

Es ist der Karneval vor dem Karneval, ein vierwöchiger freundschaftlicher Wettstreit von insgesamt über 130 Gruppierungen, den faszinierenden Coros (bis zu 50 Personen), ulkigen Chirigotas (ca. 12 Sänger), Comparsas (max. 15 Personen) und Cuartetos (4-5 Darsteller), die bis tief in die Nacht aus den wildesten, fantasievollsten und schrägsten Kostümen und Bühnenbildern ihr eigens hierfür geschriebenes Repertoire von der Bühne der Teatro Falla schmetterten. Sie lamentieren und lästern, sie leiden und lachen. Über ihren Lebensalltag, die Krise, ihre Zukunft, auch über die Touristen. Humorvoll greifen sie die Themen des vergangenen Jahres auf und bespotten die Politik. So sehr, dass Franco seinerzeit über Jahrzehnte hinweg den Karneval gänzlich verbot, die unerschrockenen Gaditanos, wie sich die Bewohner von Cádiz nennen, natürlich trotzdem heimlich weiterfeierten.

In den Vorausscheidungen traten allabendlich mehrere Sangestruppen gegeneinander an, bis das traditionell tief verwurzelte Spektakel am Karnevalsfreitag schließlich in ein pompöses Finale gipfelte, das bis zum Morgengrauen andauert. Aus allen vier Gruppierungen geht ein Gewinner hervor. Der "Coro 2012" schafft es bis ins Viertelfinale und landet am Ende auf einem guten 7. Platz. Hier geht es um etwas. Man spürt, dass diese Zeit, so Pedro, "eigentlich wichtiger als Weihnachten" ist. Für die Sänger geht es auch um Ruhm und Ehre. Je besser eine Gruppe abschneidet, desto mehr Auftritte verspricht das Jahr, es folgen Darbietungen auf weiteren Festen, auch im Fernsehen, der CD-Verkauf rollt an, für manche eine nicht zu unterschätzende zusätzliche Einkommensquelle.

Andalusien: Thematisch greift der "Coro 2012" die Weltuntergangs-Prophezeihungen der Maya auf
Thematisch greift der "Coro 2012" die Weltuntergangs-Prophezeihungen der Maya auf
© Dörte Nohrden

Eine rauschende Straßen-Fiesta

Nach dem musikalischen Wettstreit in Teatro Falla verlagert sich der Karneval auf die Straße, eine elftägige rauschende Fiesta, gespickt mit Maskenbällen, wilden Partys und Feuerwerk, das tausende Touristen aus dem Umland in die engen Gassen der Altstadt strömen lässt.

Am heutigen Karnevalsmontag ist das Karussell der Chöre der Tageshöhepunkt. Ich begleite Pedro durch das gepflasterte Straßenlabyrinth zum Plaza de las Flores. Hier im Herzen der Altstadt stehen die Umzugswagen der Chöre bereits bereit und ich lerne die lustige Truppe endlich persönlich kennen. Auch Salvador, der sämtliche Lieder für den "Coro 2012" selbst geschrieben und komponiert hat.

Andalusien: Zum Karussel der Chöre formatieren sich die Sänger pyramidenartig auf ihren schlichten, mehrstöckigen Umzugswagen
Zum Karussel der Chöre formatieren sich die Sänger pyramidenartig auf ihren schlichten,
mehrstöckigen Umzugswagen
© Dörte Nohrden

Alle beisammen? Jetzt noch fix in die nächste Bar, die Gitarren stimmen, ein letztes Mal stärken und wichtig: Literweise Bier, Wasser und Wein auf den Wagen schaffen, den die Musikanten jetzt für Stunden nicht verlassen werden. Ich frage nach: Ja, es gibt auch ein stilles Örtchen an Bord. Pünktlich zum Karussell der Chöre heizt sich bei frühlingshaften Temperaturen im dichten Gedränge die Stimmung auf. Entlang der Straßen Kulinarisches, Konfetti, Kostüme und ungezählte Tresen, über die Gallonen von Cerveza geschoben werden. Ein gutes Geschäft für die Tapasbars.

Andalusien: Der "Coro 2012" in Aktion. Gitarrist Pedro (oben Mitte) ist voll in seinem Element
Der "Coro 2012" in Aktion. Gitarrist Pedro (oben Mitte) ist voll in seinem Element
© Dörte Nohrden

Glücklich die, die das bunte Treiben von ihrem Balkon aus beobachten können. Doch viel fröhlicher sind die Jecken, die mittendrin stehen und mitfeiern. Weitere Chöre formatieren sich in den absonderlichsten und pompösesten Gruppenoutfits. Das Karussell ist eröffnet, Traktoren schleppen die Gesangstruppen schließlich wie eine kunterbunte, überdimensionale Schlange rund um den Zentralmarkt.

Die Chöre, jung und alt, singen und gebärden sich mit einer Leidenschaft, Wucht und Intensität, die jeden Wagen für sich in eine ganz eigene, geballte Energie verwandelt. Sie schillern und sprühen unter einem strahlend blauen Frühlingshimmel in den prächtigsten Farben. Ich kann mich an ihren Gesichtern, dieser ausdrucksstarken Mimik jedes Einzelnen nicht satt sehen, auch wenn ich mit mäßigen Spanischkenntnissen schlicht kein einziges Wort verstehe. Ich johle also, wenn die anderen johlen, klatsche, wenn die anderen klatschen.

Nicht Samba oder Salsa, sondern der Tanguillo oder Tango bestimmen hier den Takt, traditionell werden die gewaltigen Chöre von Gitarre, Laute und der Bandurria, einem spanischen Zupfinstrument begleitet.

Die Coros singen für Stunden, unaufhörlich, man würde meinen, bis die Stimme versagt, allein: sie versagt Ihnen nicht, wird sie doch zwischendrin kräftig mit Cerveza geölt. Das fröhliche Spektakel geht schließlich nahtlos in ein nächtliches Straßenfest über. Bis in die Morgenstunden feiern Gaditanos und Touristen gemeinsam, bis es hell wird. Dann, zunächst ganz leise, beginnt ein weiterer Karnevalsmorgen in den Straßen von Cádiz.

Andalusien: Der Chor "Listos los de atras? Listos!" besteht bereits seit über 20 Jahren und formatiert sich generationsübergreifend jährlich neu
Der Chor "Listos los de atras? Listos!" besteht bereits seit über 20 Jahren und formatiert sich generationsübergreifend jährlich neu
© Dörte Nohrden

Info zum Karneval in Cádiz

Karneval in Cádiz:

Schon im 16. Jahrhundert brachten Kaufleute aus Venedig das Kostümfest in die einst blühende Handelshafenstadt Cádiz. Die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz Anadalusiens gilt als älteste Stadt Westeuropas und blickt auf eine 3000-jährige Geschichte zurück. Der spektakuläre elftägige Straßenkarneval findet alljährlich von Weiberfastnacht bis zum übernächsten Sonntag statt. 2013 übrigens vom 7. bis 17. Februar. Informationen: www.carnavaldecadiz.com

Gerade am ersten Karnevalswochenende ist Kostümierung Ehrensache!

Anreise:

Der nächstgelegene Flughafen ist Jerez de la Frontera. Auch Sevilla und Malaga können, verbunden mit einem längeren Anfahrtsweg, angeflogen werden.

Von Sevilla und Jerez fahren zum einen Züge

( www.renfe.com ) nach Cádiz, mit dem Bus gelangt man wiederum von fast überall in die Provinzhauptstadt.

( www.tgcomes.es/rutas_todas.htm )

Übernachten:

Wer den Karneval in Cadiz feiern und auch dort wohnen möchte, dem sei geraten, sehr rechtzeitig eine Unterkunft zu buchen. Das rauschende Fest zieht tausende Touristen aus ganz Spanien an, die Stadt platzt aus allen Nähten, selbst private Unterkünfte findet man spontan kaum noch.

Alternativ: Wer den Karneval in Cadiz zwar tageweise miterleben, sich aber in erster Linie erholen möchte, quartiert sich besser in einem ruhigeren, weniger überlaufenen Örtchen an der Costa de la Luz (Küste des Lichts) ein. Die "weißen Dörfer" Vejer, Conil oder Chiclana sind beispielsweise schöne Alternativen und: auch dort wird zwei Wochen lang Karneval gefeiert! In Conil ziehen die Sangestruppen sogar am Strand entlang. Alle drei Dörfer verfügen über eine sehr gute Busverbindung nach Cadiz. ( www.tgcomes.es/CONIL-VEJER-BARB-ZAHARA.pdf )

Und wer den letzten Bus zurück verpassen sollte, feiert einfach eine Nacht durch!

Mietwagen:

Die gesamte Costa de la Luz von Tarifa bis zur portugiesischen Grenze lässt sich wunderbar und idealerweise mit dem Mietwagen erkunden, solange man sich von der Karnevalshochburg selbst fernhält. Wer dennoch mit dem Wagen nach Cádiz fahren möchte, sollte diesen dringend vor den Toren der Stadt parken, die nur über sehr begrenzten Parkraum verfügt. Selbst die großen, kostenpflichtigen Parkplätze sind während des Karnevals wegen Überfüllung geschlossen.

Tipp: Das Auto in San Fernando, Puerto Real oder auch Chiclana parken und von dort mit dem Bus weiter.

Gut zu wissen:

Ein Narr, wer sich hier viel nackte Haut verspricht. Die Spanier geben sich bei ihrer Kostümierung hoch geschlossen - dafür umso temperamentvoller! Auch gebützt wird hier nicht, es sei denn, hinter verschlossener Tür...! Feliz Carnaval!

Andalusien: Cádiz liegt wie eine schwimmende Festung fast vollständig meerumschlungen im Atlantik und ist nur über eine schmale Landzunge mit dem Festland verbunden
Cádiz liegt wie eine schwimmende Festung fast vollständig meerumschlungen im Atlantik und ist nur über eine schmale Landzunge mit dem Festland verbunden
© Dörte Nohrden

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