Wer auf die Malediven in den Urlaub fliegt, kann im Freundeskreis mit zwei völlig verschiedenen Kommentaren rechnen: „Oh, wie schön!“ oder „Einmal noch sehen, bevor sie untergehen, was?“. Steigt der Meeresspiegel aufgrund des Klimawandels an, wären die rund 1200 Inseln im Indischen Ozean tatsächlich mit als Erste davon betroffen. Manche der Palmen-Paradiese ragen mit ihren weißen Traumstränden gerade einmal einen Meter aus dem Ozean hervor. Eine Anreise mit dem Flugzeug trägt strenggenommen natürlich zu einem steigenden Meeresspiegel bei. Und dennoch steigen die Touristenzahlen. Auf der anderen Seite ist es aber insbesondere der Tourismussektor, der die Umwelt auf den Malediven durch Investitionen und ökologische Initiativen zu schützen versucht. Die Insel Niyama ist dafür ein Parade-Beispiel.
„Hier wird gar nichts abgesägt“, blafft Insel-Manager Dietmar Kögerl energisch und unterstreicht seine Entschlossenheit mit einer zackigen Handbewegung zur Seite. Der gebürtige Münchener leitet das 5-Sterne-Resort seit gut drei Jahren. Als er herkam, standen gerade die Banyan-Bäume auf der „To-Do-Liste“ des Insel-Eigentümers. Große Laubbäume, die neben Palmen zum natürlichen Bewuchs der Malediven gehören. Allerdings: Neue Bungalows bringen mehr Geld, als alte Bäume. Mit Dietmar Kögerl aber war das nicht zu machen.
„Die Dinger stehen hier seit mindestens 100 Jahren. Die darf man doch nicht einfach umholzen, sondern muss das als Vorteil nutzen“, sagt er in urbayrischem Slang und präsentiert stolz seine real gewordene Öko-Vision, für die man schon mal den Kopf in den Nacken legen muss: das einzige Baumhaus-Restaurant der Malediven. „Klasse, was?“. Die Augen von Dietmar „Didi“ Kögerl funkeln so begeistert, als ob er sein eigenes Werk zum ersten Mal sehen würde.
Eigenanbau statt Import
Mitten im dichten Palmen-Grün stehen die mächtigen Stämme der Banyan-Bäume. Dazwischen führt eine breite hölzerne Wendeltreppe nach oben in die Baumwipfel. Als wir in gut zehn Metern Höhe auf der Restaurant-Ebene ankommen, öffnet am Ast nebenan gerade ein Flughund verschlafen die Augen. „Die stört das gar nicht. Kommt mal gucken“, lacht Didi. Über eine Verbindungsbrücke aus Bambus geht es rüber zum nächsten Holz-Plateau, das wie hineingewachsen auf Pfählen und gesichert mit Metallringen mitten in der Baumwelt steht. „Wir haben hier oben 40 Sitzplätze und den Schwerpunkt auf asiatischem Essen. Die Leute lieben es, zwischen den Bäumen zu sitzen“, schwärmt er.
Der 54-jährige ist so etwas wie eine Innovations-Maschine in Sachen Öko-Tourismus und in seinem Schwung offenbar weder bei Projekten noch an diesem Nachmittag zu bremsen. „Kommt, runter geht´s“, winkt er und saust in seiner weißen Leinen-Kleidung die Wendeltreppe wieder runter zum Erdboden. Ihm ist es nicht nur wichtig, die gewachsene Natur auf der Insel zu bewahren, sondern auch, etwas gegen die Klimaerwärmung zu tun. „Das Grundproblem der Malediven ist, dass man alles, aber auch wirklich alles zu jeder einzelnen Insel bringen muss – speziell bei Hotel-Inseln. Das kann man verbessern und Sachen selber anbauen“, sagt er und tritt durch einen geflochtenen Torbogen in einen tropischen Garten, der vor Grün nur so strotzt.
„Wir haben Auberginen, Bohnen, Papaya, Bananen, Kräuter, Tomaten, Paprika, Mais und, und, und“, zählt Didi auf. Er geht zwischen den Beeten auf den Sandwegen entlang und lässt seine Hände über die Blätter der Pflanzen gleiten. Der große Obst- und Gemüsegarten ist seine Idee. „Die Sachen hier sind für unsere Restaurants. Ebenso, wie das Kokosöl, dass wir da vorn mit einer Handpresse aus den Kokosnüssen pressen. Frischer geht´s nicht.“
Apropos frisch: Trinkwasser ist ebenso ein Problem auf den Malediven wie die Versorgung mit Essen. Die Lösung? „Wir haben eine Meerwasserentsalzungsanlage, mit der wir frisches Wasser produzieren. Das Wasser geht beispielsweise auch in die Duschen der Gästebungalows – aber von da aus nicht etwa ins Meer. Das ist ein geschlossener Kreislauf. Das Brauchwasser wird über eine Kläranlage gereinigt und anschließend zum Gießen der Pflanzen im Garten oder auch für die Swimming-Pools genutzt“, erklärt Didi.
Tatsächlich macht der Einsatz für die Umwelt auf Niyama aber nicht an der Wasserkante halt. In einer Aufzuchtstation werden auf der Insel Korallen gezüchtet, die ab einer gewissen Größe unter Aufsicht einer Meeresbiologin in den Riffen rund um die Insel eingesetzt werden. „Damit“, so Didi Kögerl, „leisten wir zumindest einen kleinen Beitrag, um dem Korallensterben durch den Klimawandel etwas entgegenzusetzen. Wir versuchen die Riffe praktisch wieder aufzuforsten.“
Nachhaltigkeit: Die eigenen Grenzen kennenlernen
Also alles Öko auf Niyama? „Nein“, schüttelt der Hoteldirektor den Kopf. „Da muss man ehrlich sein und sagen: Alles geht nicht. Ganz klar müssen hier viele Sachen per Schiff oder Wasserflugzeug angeliefert werden. Wir werden auf der Insel auch keine Rinder für die Steaks im Restaurant züchten können. Aber wir haben eine eigene Bäckerei, wollen die Stromversorgung von Dieselaggregaten auf Solarenergie umstellen und haben Elektro-Mobile und Fahrräder für unsere Gäste“, zählt er auf.
Schließlich ist Niyama für eine Malediven-Insel auch ungewöhnlich groß. Sie besteht aus zwei direkt nebeneinander liegenden Inseln und kommt auf eine Gesamtlänge von rund 2,5 Kilometern. Vielleicht mit ein Grund, warum Didi Kögerl manche Projekte hier noch nicht umsetzen konnte, mit denen er woanders auf den Malediven bereits das begehrte Tourismus-Umweltsiegel „Green Globe“ bekommen hat. Auf Kihavah beispielsweise, wo der Plastikmüll auf ein Minimum reduziert wurde. „Ich habe dort Glasflaschen eingeführt und wir haben über eine Filteranlage unser eigenes Trinkwasser gemacht. Damit ist die Anlieferung von Plastikflaschen komplett überflüssig geworden. Die Insel war aber auch wesentlich kleiner“, erklärt er.
Die Möglichkeiten für den Öko-Tourismus auf den Malediven sind demnach abhängig von der Insel-Größe in Verbindung mit der Kreativität der Planer. Auf Niyama hat gerade die ungewöhnliche Größe der Insel zur Naturvielfalt und damit auch zum Bestand der alten Banyan-Bäume geführt. Ein Glücksfall für Didi Kögerl und seine Gäste. Eine ausgeprägte Tierwelt hingegen sucht man – wie überall auf den Malediven – auch hier oberhalb der Wasserfläche vergebens. Nur rund um das Baumhausrestaurant zwitschern erstaunlicherweise einige Singvögel. Das Ergebnis der ökologischen Bemühungen?
„Nein“, erkärt Didi Kögerl, „das würde nichts nützen, weil es auf den Malediven neben Wasservögeln meist nur Krähen oder Reiher gibt.“ Er zeigt auf die geschickt versteckten Mini-Lautsprecher in den Astgabeln und lacht. „Das ist eher ein Ergebnis unserer Suche nach schönen Aufnahmen von Vogelstimmen und der Gesang hat eine beruhigende Wirkung – übrigens nicht nur auf unsere Gäste.“ Er legt den Kopf in den Nacken und blickt nach oben in den Banyan-Baum. Stimmt, der Flughund von vorhin hat die Augen wieder geschlossen und hängt selig schlummernd an seinem Lieblingsast zwischen den Blättern.