Das flache Land des Banats sieht im Sommer aus wie ein Gemälde von van Gogh: oben ein endloser Himmel voller Wattewolken, blau wie das Weltall, unten ein Meer aus gelben Sonnenblumen, grünen Maisfeldern und goldenem Weizen. Im Winter hingegen ähnelt das flache Land einer weißen Wüste, über die Karpatenwinde fegen. An einem milden Septembertag starte ich meine Reise von Belgrad aus nach Bela Crkva. Ein Städtchen an der rumänischen Grenze, fast an der Donau, im südwestlichen Teil des Banats.
Am Stadtrand von Belgrad donnere ich mit einer Menge Last- und Kleinwagen über die Pančevo-Brücke, ein Ungetüm aus tiefgrauen Stahlgittern. Der Brücke folgt die Landstraße, die nach Pančevo führt. Hinter der Kreisstadt mit ungarisch-österreichischer Vergangenheit reihen sich dann die malerischen Ortschaften wie Perlen aneinander. Stumm stehen Reihenhäuser in der Landschaft, umsäumt von Linden und Kastanien. So rechteckig und bunt erinnern sie an Bauklötze aus der Kindheit. Die Außenwände sind mit Stuck verziert und meistens ockergelb. "Maria-Theresia-Gelb" nennen Kunsthistoriker die Farbe, weil Kaiserin Maria-Theresia ihren Untertanen sie damals verordnet hatte. Lange Zeit gehörte das Banat zum Herrschaftsgebiet der Habsburger Monarchie, war und ist heute noch eine große multinationale Landschaft, in der bis zu 19 Nationen friedlich miteinander leben. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Banat zwischen Rumänien, Serbien und Ungarn aufgeteilt. Der größte Teil liegt in Rumänien, der kleinste in Ungarn.
Das Banat, ein Teil der Pannonischen Tiefebene, ist flach wie ein Teller, zumindest im serbischen Teil. Jedoch, je näher man im Osten an die rumänische Grenze kommt, grüßen die Karpaten: die hügelige Landschaft ersetzt das flache Land. Mit seiner Fläche von rund 28.500 Quadratkilometern ist das Banat fast so groß wie Belgien. Mein Ziel ist zwar Bela Crkva, aber vielmehr sind es die sieben kleine Seen, die verteilt um die Ortschaft liegen. Am Velliko jezero, dem sogenannten Großen See, möchte ich ein paar Ruhetage einlegen, um dem Trubel der Hauptstadt zu entgehen.
Der Weg über die holprige Landstraße führt nach etwa sechzig Kilometer durch den Südzipfel der Deliblater Dünen, einem 300-Quadratkilometer großen Nationalpark. "Die Banater Sandwüste", ist jedoch heute ziemlich grün, im 19. Jahrhundert pflanzte man auf dem Sand Akazien, Fichten, Sandbirken und Wacholdersträucher, um die Wucht der Karpatenwinde zu mildern. Im südlichen Teil, in der Nähe der Donau haben auf Feuchtwiesen viele geschützten Tiere Zuflucht gefunden: Wüstenameisen, Steppenspringmäuse, aber auch Ibisse und Kormorane. Im Norden, in den Wäldern, verstecken sich Hirsche und Wildschweine, Wölfe und Luchse, insgesamt 86 Tierarten leben in den Deliblater Dünen.
Der größte Teil der Deliblatska peđčara, wie die Dünen auf Serbisch heißen, liegt zwar abseits der Landstraße, doch die umliegende Landschaft ist karg und eben sandig. Nach anderthalb Stunden Fahrt von Belgrad aus, ist Bela Crkva in Sicht. Es ist ein verschlafenes Nest, die kaiserliche Vergangenheit ist nicht zu leugnen: barocke Kirchen, bunte quadratische Häuser mit Stuck und Farbe verhübscht, umsäumen die geraden Straßen und Gassen. Bis zum Ende des 2. Weltkriegs lebten in Bela Crkva ("Weißkirchen") mehrheitlich Banater Schwaben, nach dem Krieg zogen die meisten mit Hitlers Armee ab, die wenigen, die blieben, wurden nach dem Krieg vertrieben. Heute zählt Bela Crkva, etwa 10.000 Einwohner, viele Ethnien sind noch immer dabei. Es waren die Deutschen, die im 19. Jahrhundert aus umliegenden Kiesgruben sieben kleine Seen angelegt haben. Heute sind das Oasen der Ruhe in unberührter Natur, aber auch die unmittelbare Nähe der Flüsse Nera und Donau und die Deliblater Dünen machen aus dieser Gegend eine kleine, unentdeckte Perle inmitten von nirgendwo, eben, im Banat.
Zum Veliko jezero führt ein Schild. Die Baumkronen, die den Weg zum Ufer säumen, reichen bis zum Himmel, just vor dem See zeigen sich die zuckerbäckerfarbenen Villen: mint, pink und puderrosa sind die einstöckigen Gebäude, die "Villa Ljiljana", "Villa Bessi" oder "Villa Jović" heißen.
Im Schatten der Bäume kann man den Großen See in gut 30 Minuten umwandern, der Weg führt direkt am Seeufer entlang. Ein paar Kneipen und Restaurants sorgen unterwegs für schöne Rastmöglichkeiten. Fisch und Fleisch, türkischer Mokka oder Aprikosenschnaps aus der Gegend stehen auf der Karte. Es gibt den großen öffentlichen Badestrand, aber auch jede der Villen hat den eigenen Zugang zum Wasser, an dem kleine Tretboote befestigt sind. Zum Supermarkt in Bela Crkva sind es weitere zehn Minuten, wer Ende Mai in der Gegend ist, sollte unbedingt den "Blumenkarneval" besuchen, dann wird auf den Straßen getanzt und mit vielen Sommerblumen gefeiert.
Durch Bela Crkva führt ein Teil des Radweges "EuroVelo 6", der am Atlantik beginnt und am Schwarzen Meer endet. Der Radweg durchs Banat geht in mehrere Richtungen: im Norden führt er nach Zrenjanin, Vršac und Kikinda, aber auch nach Kovačica, einem malerischen Dorf, in dem die weltberühmten naiven Künstler leben und malen. Wer durch das rumänische Banat weiter radeln will, fährt bis zur nahen Grenze nach Temeschwar, wer der Donau folgen will, setzt unweit von Bela Crkva, bei Ram mit der Fähre zum anderen Ufer über und radelt bis zum Schwarzen Meer.
Am Sonntag kommen Freunde aus Belgrad, Mittagessen an der Mündung der Nera in die Donau steht an. Nera ist der Grenzfluss zwischen Serbien und Rumänien, kurz vor der Mündung in die Donau ist sie smaragdgrün und wild bewachsen. Auf der Donau sonnen sich Storche und Ibisse, am Ufer hocken geduldige Fischer. Stara Palanka ist zwölf Kilometer von Bela Crkva entfernt, das Dorf hat dreizehn Häuser und die beste Fischsuppe der Welt. Nur ein paar Meter von der erhöhten Terrasse des Fischrestaurants fließt der Donau-Theiß-Donau-Kanal. Und genau hier zeigt die Donau ihre volle Breite, bevor sie die Kurve in die Enge des Eisernen Tores nimmt. Wie bestellt, biegt gerade ein elegantes Kreuzfahrtschiff um die Ecke, rechterhand erahnt man die Ruinen der Festung Ram.
Und dann wird es himmlisch: zuerst die Fischsuppe im dicken Pott, das knusprige Weißbrot wird getunkt und gedippt, dann folgen die Fische: Barsch und Brasse, knusprig gebraten, Salzkartoffeln, viel Zwiebeln und Zitronen. Der Weißwein kommt von den Sanddünen aus der Gegend, Mokka und Schnaps vom Wirt. Wo ist der denn, frage ich den Kellner, "Im Boot, frische Fische fangen", antwortet er. Frischer geht's nicht, denke ich.
Und dann wollen wir zum Fluss Nera. Ein kleiner Damm führt in die Nähe des Flusses, links liegen verträumte gelbe Felder, rechts versperren Büsche, Geäst und dickes Gehölz die Sicht auf die Nera. Wir kämpfen uns durch und plötzlich ist sie da, glitzert in wenigen Sonnenstrahlen smaragdgrün. Frösche quacken, Vögel twittern, und plötzlich sind wir in einem Mini-Urwald, inmitten der Pannonischen Tiefebene, die vor Millionen Jahren das Pannonische Meer war. Am frühen Abend verschwindet die Sonne am Großen See in den Baumkronen. Dann wird es dunkel, die Sterne zwinkern, der Mond scheint ins Zimmer, Hunde aus der Nachbarschaft bellen ihn an, versprenkelte Musikfetzen aus den Kneipen am See baumeln durch die Nacht.