Alle Jahre wieder – erfreuen viele Menschen sich an Silvester an Raketenglitzer, Böllern und Knallfröschen. Nun ja, nicht alle. Und Tiere sowieso nicht: Wer bei sich zu Hause einen Hund oder eine Katze hat, weiß, wie verängstigt Vierbeiner selbst im Haus auf Lichtblitze, Explosionen und Qualmwolken auf der Straße reagieren. Aber auch Wildtiere leiden.
Zwar seien die Auswirkungen auf wild lebende Säugetiere wenig untersucht, wie der Naturschutzbund Deutschland in einem Positionspapier erläutert. Doch gerade Tiere mit einem sensiblen Gehör, darunter Fuchs, Biber oder Fledermäuse in ihren Winterquartieren seien gefährdet.
Vergleichsweise gut erforscht sind dagegen die Folgen für Wildvögel. So veröffentlichten Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz und des Niederländischen Instituts für Ökologie im Jahr 2022 eine Studie zu Wildgänsen in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden.
Insgesamt 347 Vögel hatte das Team in acht aufeinanderfolgenden Jahren mit GPS-Sendern ausgestattet – neben Blässgänsen auch Weißwangen-, Kurzschnabel- und Saatgänse. Bei allen handelt es sich um Zugvögel, die den Sommer in der Arktis und den Winter an den Küsten Norddeutschlands, Dänemarks und der Niederlande verbringen. Die Auswertung der Daten zeigte: In den Silvesternächten verließen viele der Vögel ihre Schlafstellen, flogen im Mittel fünf bis 16 Kilometer weiter und 40 bis 100 Meter höher als in den Nächten davor. "Es ist schockierend zu sehen, wie weit weg die Vögel in der Silvesternacht flogen", kommentiert die Erstautorin der Studie, Dr. Andrea Kölzsch die Ergebnisse in einer Presseerklärung. In Einzelfällen haben Vögel Hunderte Kilometer in einer einzigen Silvesternacht zurückgelegt: Distanzen, die die Tiere normalerweise nur während der Zugzeit bewältigen.
Offenbar machen nicht nur flächendeckende Explosionen, sondern auch der Feinstaub den Tieren zu schaffen. In allen untersuchten Gebieten sei der Feinstaubwert in den Silvesternächten um bis zu 650 Prozent angestiegen. "Wir konnten feststellen, dass Vögel Ihre gewohnten Schlafgewässer verließen und Orte wählten, die weiter entfernt von menschlichen Siedlungen lagen und geringere Feinstaubkonzentrationen aufwiesen", sagt Kölzsch. Das sei ein starkes Indiz dafür, dass die Gänse versuchten, dem Feuerwerk zu entkommen.
Neben der unmittelbaren Schreckreaktion auf Lärm, Blitze und Gestank konnten die Forschende auch längerfristige Effekte feststellen: So nahmen sich die Vögel in den zwölf Tagen nach Silvester zehn Prozent mehr Zeit fürs Fressen und ruhten tagsüber länger – für die Forschenden ein Hinweis darauf, dass die Tiere die unfreiwilligen Energieverluste an Silvester wieder wettzumachen versuchten.
Gestresste Vögel selbst bei wenig Böllerlärm
Eine Besonderheit zeigte sich im Coronawinter 2020/2021: Wegen des Lockdowns wurden in vielen Ländern Verbote ausgesprochen, Feuerwerk zu verkaufen. Mit der Folge, dass deutlich weniger Feuerwerk gezündet wurde. Trotzdem zeigten zwei der untersuchten Gänsearten eine deutliche Verhaltensänderung. Den Forschenden zufolge ist das ein Indiz dafür, dass selbst scheinbar geringfügige Störungen dazu führen, dass – zumindest in strengen Wintern – das Überleben der Tiere durch Energieverluste unsicher wird.
Schon 2011 hatten niederländische Forschende anhand von Daten eines Wetterradars gezeigt, dass in einem Natura-2000-Schutzgebiet Tausende von Vögeln in der Sylvesternacht kurz nach Mitternacht aufflogen. Und zwar für mindestens 45 Minuten und bis in eine Höhe von 500 Metern – weit höher, als die Tiere normalerweise zu ihren Futterplätzen fliegen. Eine schweizerische Studie aus dem Jahr 2015 kam zu dem Ergebnis, dass Vögel Gebiete, aus denen sie geflüchtet sind, tagelang meiden. Erst nach drei bis zehn Tagen, so die Forschenden, entsprach die Zahl der Wasservögel wieder den Werten vor dem Feuerwerk.
Neben der "nächtlichen Ruhestörung" kann Feuerwerk aber auch unmittelbar gesundheitsschädliche oder gar tödliche Konsequenzen für Vögel haben: So sollen bei einem Silvesterfeuerwerk in Prag zum Jahreswechsel 2013/14 Vögel verletzt oder tot in die Zuschauermenge gefallen sein. Zu Jahresbeginn 2021 erhitzte eine Meldung aus Rom die Gemüter von Tierfreundinnen und -freunden: Hunderte Stare waren dort, offenbar aufgeschreckt durch Böllerlärm, durch die Häuserfluchten geflattert und zu Hunderten gegen Glasfassaden geprallt. Und das, obwohl der geräuschvolle Silvesterbrauch sogar behördlich untersagt war.