Es sind vor allem die männlichen Singvögel, die im Frühjahr und Sommer ihre charakteristischen Lieder schmettern – sei es, um potenzielle Partnerinnen zu betören, oder um ihr Revier zu markieren. Doch auch der – oft diskretere – Gesang der Weibchen erfüllt eine wichtige Funktion. Weil er ihrem Nachwuchs als Vorbild dient. Und zwar nicht erst nach dem Schlüpfen der Küken: Schon der Embryo im Ei lernt von der Mutter. Das konnte jetzt ein Forschungsteam um die Verhaltensbiologin Sonia Kleindorfer von der Universität Wien zeigen.
Für ihre im Fachmagazin "American Naturalist" veröffentlichte Studie untersuchten die Forschenden acht verschiedene Arten von australischen Singvögeln, so genannte Staffelschwänze und Grasschlüpfer. Biologisch gesehen gehören die Vögel, die ein wenig an Zaunkönige erinnern, allesamt zu einer Familie, bei der sich die Fähigkeit zum Singen schon sehr früh entwickelt hat – vor etwa fünf Millionen Jahren.
An 13 verschiedenen Standorten in ganz Australien nahm das Forschungsteam die Stimmen von brütenden Müttern und deren Küken auf und verglich sie miteinander. Das Ergebnis: Offenbar lauschen bereits die Embryonen im Ei ihrer Mutter – und lernen von ihr den jeweiligen Gesang.
"Rolle der Mutter als Klang- und Gesangslehrerin bislang übersehen"
Bei den untersuchten Prachtstaffelschwänzen zeigte sich, dass die eben geschlüpften Küken einen charakteristischen Ruf ihrer Mutter wiederholten – und zwar als Bettelruf. Die Laut-Analysen ergaben weiterhin, dass die Küken mit ihrem Bettelruf die Mutter umso präziser imitieren konnten, je langsamer sie ihn zuvor vorgetragen hatte.
Mit ihrer Studie schließt das Forschungsteam eine wichtige Lücke beim Verständnis des Lernprozesses bei Vögeln – und beim Verständnis der Rolle der Mutter beim "frühkindlichen Spracherwerb". Denn "bis vor kurzem wurden deren Rufe und Gesang und somit auch deren Funktion als potenzielle Klang- und Gesangslehrerin übersehen", sagt die Erstautorin der Studie, Sonia Kleindorfer in einer Pressemitteilung der Universität. Die Ergebnisse dürften auch für europäische Singvögel zutreffen. "Es scheint sich um ein allgemeines Muster zu handeln", so Sonia Kleindorfer gegenüber GEO.
Und noch etwas verblüffte die Forschenden bei der Auswertung ihrer Untersuchungen: Augenscheinlich tragen die Mütter durch ihren Gesang nicht nur dazu bei, dass der Nachwuchs das Singen lernt. Sie beruhigen ihre Küken im Ei auch mit Schlafliedern: Hörten die Embryonen den charakteristischen Ruf der Mutter, verlangsamte sich ihre Herzfrequenz.