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Es galt als Meilenstein des Tierschutzes: 2009 trat ein EU-weites Verbot von Tierversuchen für Kosmetika in Kraft. Ab 2013 galt das Verbot dann auch für einzelne Inhaltsstoffe. Erstmals sollte eine ganze Produktgruppe frei von Tierleid sein.
Doch wer heute zu Duschgel, Lipgloss und Mascara greift, kann nicht sicher sein, dass nicht mindestens einer der Inhaltsstoffe trotz des Verbots an Kaninchen und Mäusen getestet wurde. Das zeigt eine Studie aus den USA.
Tierversuche trotz Verbots
Demnach waren im Dezember 2020 bei der EU-Chemikalienbehörde (ECHA) 63 Substanzen zur ausschließlichen Verwendung in Kosmetika registriert, die aufgrund von Tierversuchen zugelassen worden waren – und zwar nach dem Inkrafttreten des Tierversuchsverbots.
Das Team des Center for Alternatives to Animal Testing, eines Instituts der Johns Hopkins School of Hygiene and Public Health in den USA, resümiert: Verbraucherinnen und Verbraucher "könnten nicht mehr darauf vertrauen, dass die von ihnen gekauften Kosmetikprodukte nicht an Tieren getestet wurden".
Tierschützer warnten früh vor einer Hintertür für Tierversuche
Schon 2014, ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Tierversuchsverbots für Kosmetika, hatte die Tierschutzorganisation Peta kritisiert, dass Tierexperimente "durch die Hintertür" wieder eingeführt würden. Damals hatten die EU-Kommission und die ECHA erklärt, dass Chemikalien, die nur in Kosmetika verwendet werden, auf der Grundlage der REACH-Verordnung an Tieren getestet werden können.
Die REACH-Verordnung dient seit dem 1. Juni 2007 dem "Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den Risiken, die durch Chemikalien entstehen können". Und damit sind grundsätzlich alle Chemikalien gemeint, die in der EU auf den Markt gebracht werden.
Obwohl REACH nach offizieller Lesart "alternative Methoden zur Gefahrenbeurteilung" vorschlagen soll, "um die Anzahl der Tierversuche zu verringern", ist es genau diese Verordnung, für die – am Kosmetik-Testverbot vorbei – Tiere für Pflegemittel leiden und sterben müssen. Die Autorinnen und Autoren der Studie weisen darauf hin, dass in einigen Fällen sogar auf tierversuchsfreien Alternativmethoden basierende Risikobewertungen von der ECHA abgelehnt und Tierversuche im Rahmen von REACH ausdrücklich nachgefordert worden seien.
Auf den Widerspruch hingewiesen, teilte die EU-Kommission der taz mit: Das Verbot aus der Kosmetikaverordnung betreffe nicht die Tests, die REACH für die Auswirkungen auf die Umwelt und die Sicherheit von Arbeiter*innen der Hersteller verlange. Die Kommission sehe deshalb auch keinen Widerspruch zwischen den beiden Regelungen.
Tierschützer sehen das anders: Es sei ein "Unding", dass Verbrauchern seit 2013 suggeriert wird, in der EU erhältliche Kosmetika seien frei von Tierversuchen, sagt Sabrina Engel, Biotechnologin und Fachreferentin bei Peta.
Auch bei der Industrie stößt das Verordnungs-Wirrwar auf Unverständnis. So wehrt sich die Symrise AG, ein deutscher Hersteller von kosmetischen Inhaltsstoffen, schon seit dem Jahr 2018 gegen die Auflage der ECHA, zwei ihrer Inhaltsstoffe an 5500 Tieren zu testen. Bislang ohne Erfolg. Der Fall liegt jetzt beim Europäischen Gerichtshof.
Worauf Konsument*innen achten sollten
So lange die Rechtslage nicht geklärt ist, werden also wohl weiter Tiere für Kosmetik in der EU leiden und sterben. Um sicher zu gehen, dass Produkte möglichst weitgehend frei von Tierleid sind, helfen Label wie das "Kaninchen mit schützender Hand" des Deutschen Tierschutzbundes, das springende Kaninchen ("Leaping Bunny") von Cruelty Free International oder das Label PETA Approved Global Animal Test Policy der Tierschutzorganisation Peta.
"Unternehmen und Marken, die von Peta als tierversuchsfrei ausgezeichnet sind", sagt Fachreferentin Sabrina Engel, "übertreffen die aktuell unzureichenden rechtlichen Vorgaben." Sie führen also keine Tierversuche durch, geben keine Tierversuche in Auftrag und nehmen auch keine Tierversuche durch Dritte in Kauf. Das ist zum Beispiel dann von Bedeutung, wenn Unternehmen ihre Produkte in China vertreiben möchten. Dort sind Tierversuche für Kosmetika vor der Markteinführung teilweise noch immer vorgeschrieben.
Zur Vorsicht rät Sabrina Engel bei Produktaussagen wie "Wir führen keine Tierversuche durch": Das könne bedeuten, dass das Unternehmen Tierversuche in Auftrag gibt. Eine Aussage wie "Unsere Produkte werden nicht an Tieren getestet" dagegen schließe Tierversuche für einzelne Inhaltsstoffe oder Rezepturen nicht aus. Wichtig sei es darum, sich an einem unabhängigen Siegel zu orientieren.