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Nebelforschung Die Nebelsammler von Iquique

Im Norden Chiles erforschen Wissenschaftler den Nebel - und gewinnen daraus Trinkwasser. Ein Modell für den trockenen Süden Europas?

"Seltsam, im Nebel zu Wandern" - nicht nur Hermann Hesse, sondern auch andere Schriftsteller und Künstler waren fasziniert von der mysteriösen Seite des Wetterphänomens. Wenn Otto Klemm hingegen über Nebel spricht, dann schwingt pure Freude in seiner Stimme. Klemm ist Professor für Klimatologie an der Westfälischen Wilhlems-Universität Münster und gehört zur internationalen Gemeinschaft der Nebelforscher. "Wir untersuchen die chemische Zusammensetzung von Nebel, seinen Einfluss auf die Vegetation und die Möglichkeiten der Wassergewinnung", sagt Klemm. Seit nunmehr drei Jahren erforscht Klemm dieses "Nebelsammeln" intensiv - in Chile.

Nebelforschung: Pro Tag lassen sich mit einem Nebelkollektor bis zu 170 Liter Wasser aus den Dunstschwaden "melken"
Pro Tag lassen sich mit einem Nebelkollektor bis zu 170 Liter Wasser aus den Dunstschwaden "melken"
© picture alliance/dpa

Angefangen hat alles in einem kleinen Wüstendorf im Norden Chiles, in der Nähe der Stadt Iquique, in den 1970er Jahren. Hier wurden Wissenschaftler eher zufällig auf den Morgennebel in der Region aufmerksam. Die Geografie-Professorin Pilar Cereceda von der Pontifica Universidad Católica de Chile erinnert sich: "Eigentlich waren wir dort wegen archäologischer Ausgrabungen, als ein Kollege zu mir sagte: 'Siehst du diese Nebelwolke da oben? Die solltest du mal untersuchen!'"

Mittlerweile ist Pilar Cereceda Teil eines Teams von 150 Wissenschaftlern aus acht Nationen, die sich dem Nebelsammeln verschrieben haben. Klimatologen untersuchen die Physik des Nebels und seine Rolle im Klimageschehen, Agrarwissenschaftler erforschen die Auswirkung von Nebel auf die Vegetation. Doch über allem steht das gemeinsame Ziel: die Wassergewinnung mit Hilfe von riesigen Nebelnetzen.

Die Netze erinnern an riesige Tennisnetze und bestehen aus gewobenen Polyethylen-Fasern. Wenn sich morgens der Nebel über den Bergen der Atacama-Wüste bildet, trifft er auf diese Netze und die Wassertröpfchen setzen sich an den Fasern ab. Das gesammelte Wasser läuft in Tanks und wird von dort bergab in die Dörfer geleitet. Mit 100 Netzen können so 300 Personen mit Trinkwasser versorgt werden. "In Iquique herrschen ideale Bedingungen zum Nebelsammeln", sagt Klemm. "Die Region liegt genau zwischen Ozean und Wüste. Vom Pazifik wird feuchte Luft herangeweht, die dann auf das trockene und kalte Wüstenklima trifft und so den Nebel bildet - jeden Tag aufs Neue."

Nicht nur in der trockenen Atacama-Wüste, auch in anderen wasserarmen Regionen der Welt könnte der Nebel die neue Quelle für Trinkwasser sein. In Peru wird diese Technik bereits angewandt, aber auch in Europa beobachtet man die Nebelsammler aufmerksam.

Denn das Nebel-Wasser kann nicht nur als Trinkwasser, sondern zum Beispiel auch zur Bewässerung in der Landwirtschaft genutzt werden. "Ich denke, dass Regionen wie Valencia in Ostspanien, die ein ähnliches Klima wie Iquique haben, diese Technik zur Bewässerung nutzen können", sagt der Klimatologe. Gerade Spanien, das 80 Prozent seines Wassers für die Landwirtschaft nutzt, leidet unter der Verknappung seiner Wasserressourcen. Die Nebelbewässerung bietet hier eine ideale und zudem umweltschonende Alternative. In einigen Regionen Spaniens wird die Technik sogar schon genutzt: zur Wiederaufforstung und Bewässerung von jungen Bäumen oder auch zur Brandbekämpfung auf den Kanaren.

Das Potential der Wassergewinnung aus Nebel ist riesig. Doch noch ist die Technik sehr teuer. "Das Installieren und Instandhalten der Anlagen und die Reinigung des Wassers sind kostspielig", gibt Klemm zu bedenken. Für arme Regionen wie Afrika lohnt es sich also kaum, Nebel zu sammeln, da dies für die Bevölkerung nicht bezahlbar ist. "Noch nicht!", sagt Pilar Cereceda. "Wir wissen, dass wir die Kosten drastisch senken müssen, um das Nebelsammeln wirklich wettbewerbsfähig zu machen." Sie glaubt aber, dass dies in naher Zukunft möglich sein wird.

"So wie Don Quijotes Windmühlen heutzutage in Windparks Tausende von Megawatt an Strom erzeugen, so werden auch unsere Nebelnetze eines Tages so weit entwickelt sein, dass wir damit tatsächlich breite Bevölkerungsschichten mit Trinkwasser versorgen können", glaubt die Geografin.

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