Kein Zweig der Ernährungsindustrie ist seit den 70er Jahren so schnell gewachsen wie die Aquakultur - mit jährlichen Zuwächsen von fünf bis sechs Prozent. Heute stammt fast jeder zweite Fisch, den wir essen, aus der Zucht. Doch kann die Zucht und Mast von Fischen und anderen Meerestieren das Problem der Überfischung lösen?
In der Praxis ist die Umweltbilanz der Zucht oft katastrophal: In Südostasien verschwinden Mangrovenwälder, die Kinderstube vieler Fischarten, für immer mehr Shrimps- und Fischteiche. In Irland, Schottland, Chile oder Norwegen belasten Kot und Futterreste aus der Lachszucht die Küstengewässer. Die Tiere entkommen außerdem häufig, kreuzen sich mit Wildlachsen und bedrohen so den ursprünglichen Bestand. Andere, bisher wenig beachtete Probleme sind der Tierschutz und der Einsatz von Antibiotika im Futter. Bis zu vier Kilo Futterfisch braucht es, um etwa ein Kilo Lachs oder Kabeljau zu mästen. Noch höher liegt die Quote bei Thunfischen. 30 bis 40 Prozent der weltweiten Fänge werden inzwischen direkt für die Fütterung der Zuchtfische verbraucht.
Erste Erfolge in Büsum
Umweltverträgliche Ersatzstoffe füttern statt Fischmehl - das ist das Ziel der neuen ökologischen Aquakultur. So werden die Bestände von Futterfischen wie Sardellen oder Makrelen entlastet, denen große Trawler bereits mächtig zusetzen. Der Markt für Zuchtfische wächst, weil Fisch beliebt ist und die Weltbevölkerung immer weiter anwächst. „Ohne Fischaufzucht in umweltverträglichen Aquakultursystemen wird der Bedarf nicht zu decken sein“, sagt Carsten Schulz, Stiftungsprofessor der Kieler Christian-Albrechts-Universität und wissenschaftlicher Leiter der Gesellschaft für Marine Aquakultur (GMA) in Büsum, die seit 2009 die nachhaltige Fischzucht erforscht und probt.
Ein erster Erfolg sind Rapsproteine, die dem Futter für Regenbogenforellen, Steinbutt und Wels beigegeben werden - ohne Nachteile für deren Wachstum. Weitere Versuche laufen, und immer neue Gesellschafter steigen bei GMA ein; zuletzt das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) aus Kiel. „Unsere Haltungssysteme sind langfristig ausgelastet“, betont Schulz.
Schwierige Futtersuche
Kreislaufsysteme aufzubauen, in denen künstliches Meerwasser mit dem richtigen Salzgehalt keimfrei zirkuliert – das ist die eine Herausforderung für die Öko-Züchter. Noch gibt es hier viel Entwicklungsbedarf, und die Kosten der Anlagen sind für die Massenproduktion zu hoch. Das andere Problem liegt in den Futterstoffen selbst. Denn die meisten Zuchtfische sind Räuber, die natürlicherweise andere Fische essen – was sich bei der nachhaltigen Zucht ändern muss.
Für die Forscher geht es darum, dem Fischmehl, das im Idealfall ein Restprodukt aus unvermeidbaren Beifängen ist, in einem ersten Schritt pflanzliche Stoffe beizumengen. Oder auch Mehl aus Federn. Langfristig gibt es eine andere Herausforderung: Die Räuber vollständig von gut schmeckenden Alternativen zu überzeugen, die keine anderen Umweltprobleme nach sich ziehen. Und gleichzeitig, wie Fisch, die langkettigen ungesättigten Fettsäuren enthalten, die Raubfische wie Kabeljau, Lachs, Forelle, Dorade, Wels oder Steinbutt offenbar brauchen. Schnellwachsende Algen erfüllen diese Kriterien, weshalb an ihnen geforscht wird. Aber auch Muscheln, mit deren Mehl Wissenschaftler in Schweden experimentieren.
Muscheln und Algen, die sich von den Abfällen der Fischzucht ernähren und dabei in der gleichen Anlage zu deren Futter heranwachsen – das sind die Visionen der Forscher, die in Studien stehen wie „Fish in the City“, die an der Kieler Albrechts-Universität entstand. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Auch die Frage, wie das neue Fischfutter überhaupt angenommen und aufgenommen wird, ist entscheidend. Ob es schwimmen oder sinken muss, um gefressen zu werden. Und was getan werden kann, um die Fische zum Genuss zu bewegen. Das erforschen Wissenschaftler derzeit am landwirtschaftlichen Zentrum Baden-Württemberg.
WWF plant Siegel
Neben den offenen Fragen in der Forschung gibt es auch für Verbraucher Leerstellen: Noch gibt es keinerlei Standards für nachhaltige Fischzucht. Organisationen wie Bioland, Naturland oder Friends of the Sea haben zwar eigene Richtlinien ausgearbeitet; ein Massensiegel wie MSC, das allein wilde Fänge bewertet, aber gibt es noch nicht. Sein Mitgründer WWF arbeitet derzeit mit Unternehmen an einem Ökozertifikat für Zuchtfisch, dem Aquaculture Stewardship Council (ASC). Schon jetzt gibt es Kritik daran, etwa zum Einsatz von gentechnisch verändertem Soja als Futtermittel und dem Bekenntnis zum Fischmehl. Fakt sei aber, so schreibt der WWF, „dass Raubfische nicht auf eine vegetarische Diät gesetzt werden können.“ An Alternativen werde derzeit geforscht. Und Fischmehl werde nur als Futter zugelassen, wenn die Bestände der Futterfische intakt seien.
„Wir brauchen ein global gültiges Siegel, dem Züchter, Fischverarbeiter, Handel und Verbraucher vertrauen können, um die nachhaltige Aquakultur durchzusetzen“, sagt WWF-Fischereiexpertin Catherine Zucco. Im Visier hat die Umweltstiftung zunächst typische Zuchtarten wie Shrimps, Lachs, Pangasius und Forelle. Schritt für Schritt soll das Siegel dann auf andere Fische ausgeweitet werden. Die Initiative wird, das steht schon fest, für eine neue kritische Debatte über die Fischzucht allgemein und ihre nachhaltigen Alternativen sorgen. Denn der WWF hat mit dem Siegel Großes vor: „Der ASC soll kein neues Nischenprodukt sein“, sagt Zucco, „sondern den Fischmarkt nachhaltig verändern.“