Eigentlich ist die Atacama einer der trockensten Orte unseres Planeten: Die Wüste an der Pazifikküste Südamerikas liegt im Regenschatten der mächtigen Anden, die kalten pazifischen Wassermassen des Humboldtstroms verhindern die Bildung von Regenwolken. Hochdruckwetterlagen lassen Feuchtigkeit verdunsten. Das Ergebnis: Die jährliche Regenmenge liegt in der Atacama-Wüste deutlich unter einem Millimeter. Stellenweise fallen sogar jahrzehntelang keinerlei Niederschläge. Noch trockener ist es weltweit nur in einigen Trockentälern in den eisigen Weiten der Antarktis.
Doch alle fünf bis zehn Jahre ereignet sich ein Naturschauspiel, das man in der staubigen Wüste zuallerletzt vermuten würde: Massenhaft zwängen sich dann zarte Triebe aus dem trockenen, rotbraunen Boden. Millionenfach entfalten sie ihre Blüten, die violett, gelb, blau oder weiß erstrahlen und die karge Wüste in ein farbenfrohes Blumenmeer verwandeln. "Desierto Florido", blühende Wüste, nennen die Chileninnen und Chilenen das Spektakel, das in diesem Jahr mit voller Wucht zurückgekehrt ist. Im Süden entlang der Küste lassen unzählige Blumen die Wüste erblühen.

Damit das Leben dort derart explodieren kann, müssen verschiedene meteorologische und klimatische Bedingungen zusammenkommen. Hauptvoraussetzung: außergewöhnlich starke Regenfälle im chilenischen Winter, so geschehen am 1. August, als mit 40 Millimeter Regen für Atacama-Verhältnisse eine wahre Sturzflut auf die Provinz Huasco niederprasselte. Voraussetzung Nummer zwei: hohe Luftfeuchtigkeit und Nebel zur zusätzlichen Befeuchtung, damit die im Boden schlummernden Samen und Zwiebeln keimen können. Und schließlich, Nummer drei: milde Tagestemperaturen.
Bis zu 200 verschiedene Pflanzenarten treiben dann in der Wüste aus, viele von ihnen sind endemisch, kommen also nirgendwo sonst vor. Da ist die violett leuchtende Guanako-Pfote (Cistanthe longiscapa), die bis zu 20 Zentimeter hoch werden kann, jahrelang ohne Niederschläge auskommt und im Boden schlummernd auf ihren großen Auftritt wartet. Oder die Löwentatze (Bomarea ovallei), die orangefarben blüht und nur in einem bestimmten Tal zu finden ist.
Bunte Blüten locken Tiere an
Das farbenprächtige Mosaik aus Blumen lockt wiederum zahlreiche Tiere an: Bestäubende Insekten wie Bienen, Schmetterlinge und Motten haben es auf die Blüten abgesehen, Ameisen und Nagetiere auf die Samen und Zwiebeln im Boden. Von diesen Tieren wiederum ernähren sich Reptilien, Vögel und Säugetiere. So lassen sich während der Blütezeit Vögel wie der Turca (Pteroptochos megapodius), der Wanderfalke (Falco peregrinus) und der Andenkondor (Vultur gryphus) sowie Säugetiere wie das Guanako (Lama guanicoe) blicken. Der geschützte, wilde Verwandte des Lamas ist auf die Blütezeit mit ihrer Fülle an Nahrung angewiesen, um seine Population zu erhalten.
Um den Schutz des außergewöhnlichen Ökosystems und seiner Bewohner sicherzustellen, hat die chilenische Regierung dem Naturschauspiel im Jahr 2023 in der Nähe der Stadt Copiapó im Herzen der Wüste sogar einen Nationalpark gewidmet: den Parque Nacional Desierto Florido. Während der Süden der Wüste erwacht, wird im Gebiet des Nationalparks in diesem Jahr allerdings eine eher kleinere Blüte erwartet, zu niedrig waren dort die Niederschläge im Winter. Die Blumenexplosion zeigt sich ohnehin bei jeder Blüte von einer anderen Seite und leuchtet je nach Standort und Zeitpunkt in anderen Farben.

Zuletzt blühte die Atacama-Wüste im Jahr 2022 massiv und flächendeckend. Zwar erschienen die Blumen auch im vergangenen Jahr hier und da – allerdings fiel die Blüte damals deutlich kleiner aus als sonst und zeigte sich im Juli verfrüht inmitten des Winters auf der Südhalbkugel. Möglicherweise hat der damals vorherrschende El Niño zum verfrühten Auftreten des Phänomens beigetragen. Das Wetterphänomen verändert die Meeresströmungen und führt weltweit zu heftigen Wetterereignissen. Auch auf die Atacama-Region hat es Einfluss: Es erhöht die Wassertemperatur im Pazifik, schwächt den kalten Humboldtstrom ab und sorgt so dafür, dass warme, feuchte Luftmassen vom Meer über die Wüste strömen und Regenwolken bilden können. So kommt es in El-Niño-Jahren teilweise zu besonders starken Blüten. Nötig ist El Niño für die Desierto Florido aber nicht – das aktuelle Blumenmeer beweist es eindrücklich.
Die Regelmäßigkeit, mit der Regenfälle die Wüste bislang zum Leben erwecken, könnte zudem durch den Klimawandel durcheinandergebracht werden. Er macht Wetterverhältnisse unvorhersehbarer, sorgt für veränderte Niederschlagsmuster und kann somit in trockenen Wüstenregionen wie der Atacama zu intensiven Regenphasen führen. Das kann verfrühte, besonders intensive Blüten oder solche außerhalb des gewohnten Zyklus zur Folge haben. Gleichzeitig kann er aber auch für längere Trockenperioden sorgen, sodass Blüten ausbleiben. Das eingespielte System gerät jedenfalls aus dem Takt – mit noch unabsehbaren Folgen für das fragile Ökosystem, dessen Bewohner perfekt an die Bedingungen in der Atacama angepasst sind.
Das diesjährige leuchtende Blumenmeer dürfte für sie aber erst einmal ein üppiges Festmahl sein. Im Laufe der kommenden Wochen wird sich das Naturschauspiel vermutlich sogar noch weiter intensivieren, bevor es Mitte November wieder verschwindet – und nur der Wüstensand zurückbleibt.