Tag 1: Windhoek - Walvis Bay
Der lebensmüde Pavian kommt mit dem Schrecken davon. Ich auch. Ganz schön knapp war das! Ich bin auf dem Trans-Kalahari- Highway unterwegs und habe, von Windhoek kommend, die Örtchen Okahandja und Groß Barmen passiert, als plötzlich auf Höhe Wilhelmstal eine Affenfamilie die Straße quert. Da ich das einzige Auto weit und breit habe, scheinen sie genau auf mich gewartet zu haben.
Kaum ist die Familie auf der anderen Seite, kehrt der Vater noch mal um, aufreizend langsam, und setzt sich auf meine Fahrbahnhälfte. Ich bremse, weiche aus, er springt auf, täuscht in meine Richtung an – und dreht im letzten Moment ab. Puh! Wenn alle künftigen Tierbegegnungen in Namibia so ablaufen, dann bin ich mit diesem Land vielleicht doch überfordert.
Ich bin nämlich neu hier und will Afrika für mich entdecken, ich möchte Wüsten, Tiere und Dimensionen. Das alles gebe es in Namibia, hat man mir gesagt, alles, was der Afrikaanfänger so braucht: wenige Menschen, viele Tiere und dazwischen gute Straßen. So wie diese hier, die von Windhoek nach Swakopmund führt und den Eindruck erweckt, man habe die Haupt- mit der Hafenstadt direkt mit einer Schnur verbunden.
Immerhin bereitet Namibia mich schonend auf das große Nichts vor, auf die Wüstengegend, die mich erwartet: Windhoek liegt auf 1650 Metern im Hochland, durch üppiges Savannenland geht es auf endlosen Asphaltbändern langsam abwärts, die Vegetation gibt allmählich auf, bis ich schließlich kurz vor der Atlantikküste die ersten Sandhügel der Namib erreiche, der ältesten Wüste der Welt. Beim Autoverleih hat man mir gezeigt, wie einfach und schnell das Dachzelt des Geländewagens auf- und wieder abzubauen ist – ein Kinderspiel.
Dann bunkere ich Proviant für meine Expedition: kanisterweise Wasser, Wein und Bier für den Bordkühlschrank, Holz und Grillgut, und natürlich Biltong, das gewürzte Trockenfleisch, auf dem ganz Namibia pausenlos herumkaut. Ich wählte süß-scharfes Rind und Kudu-Antilope. In Swakopmund ist der Wind von See her jedoch so stark, dass ich die Autotür kaum aufkriege. Geschweige denn, ein Zelt.
Also schnell weiter nach Walvis Bay, dem wichtigsten Tiefseehafen des Landes und bedeutendsten Flamingo-Sammelpunkt des südlichen Afrikas. Ist ja nur einen Katzensprung entfernt. Doch vor diesen fauchenden und immer stürmischer werdenden Windböen hätte selbst eine Katze die Flucht ergriffen. Die Straße zur Walfischbucht verschwindet unter einem dichten, fliegenden Sandteppich. Hilfe!

Tag 2: Walvis Bay - Brandberg-Massiv
Ein gigantischer eisblauer Spiegel mit Tausenden weißrosa Farbtupfen – in unschuldiger Ruhe, als hätte es nie einen Sandsturm gegeben, glänzt die Lagune von Walvis Bay im Morgenlicht. Die Farbtupfer staksen auf roten Strohhalmbeinen, es sind unzählige Flamingos, die hier im nahrhaften Wasser der Walfischbucht schnäbeln. Es fällt mir schwer, mich von diesem Anblick loszureißen.
Flamingomäßig ist meine Safari bereits jetzt ein voller Erfolg. Beschwingte Fahrt Richtung Norden nach Swakopmund: Links bläut der Ozean, rechts ragen die roten Dünen der Namib in den Himmel, Dünensurfer schlenzen die mächtigen Sandberge auf ihren Brettern hinab. Am Strand hat eine große Gruppe ausgelassener Kuttenträger mindestens so viel Spaß im Wasser wie vorher die Flamingos, es sind Baptisten beim Taufzeremoniell.
Jeeps mit merkwürdigen, meterlang aufgepflanzten Antennen kommen mir entgegen. Dann erst sehe ich, dass sie keine Antennen, sondern laternenmastenhohe Angelruten vorgeschnallt haben. Damit fahren sie direkt in die Brandung und werfen die Leinen aus. In Swakopmund strahlt und leuchtet das wilhelminische Namibia mit Promenade und Leuchtturm, mit Fachwerk, Stuck und Jugendstil.
"Deutschlands südlichstes Seebad", wie es zu Kaisers Zeiten genannt wurde, präsentiert sich als extrem gechilltes Küstenstädtchen, die Häuser heißen "Hotel Eberwein" oder "Altes Amtsgerich". Doch ich will nicht chillen, ich will nordwärts nach Cape Cross zum Robbenreservat. "Salt road!" warnt ein Schild an der Straße, die Stampfpiste aus Salz und Sand ist plan wie ein Bügelbrett.
Ich fliege nur so dahin und freue mich, dass es nicht regnet, denn dann soll die Salzstraße lebensgefährlich glatt und schlüpfrig sein. Von See her grüßen die ersten Schiffswracks, obwohl ich die berüchtigte Skelettküste noch gar nicht erreicht habe. Noch gefährlicher als die flachen Gewässer scheint mir allerdings der umwerfende Geruch zu sein, den die munter brüllenden, grunzenden und rülpsenden Ohrenrobben an den Stränden rund um Cape Cross produzieren.
Bis zu einer Viertelmillion Tiere sollen es sein, und in gemeinsamer Anstrengung haben die Robben einen Gestank kreiert, der mir die Tränen in die Augen treibt. Vielleicht sind es aber auch Tränen des Glücks. Immerhin habe ich an diesem ersten Wildlife-Tag in Namibia mehr Wildtiere gesehen als in meinem gesamten Leben zuvor – wenn man Ameisen und Hausstaubmilben einmal nicht mitzählt.

Tag 3: Brandberg-Massiv - Etosha-Nationalpark
Schlaflose Nacht. Am nächsten Morgen weiß ich auch, warum. Von Cape Cross fuhr ich auf Schotterpisten landeinwärts ins staubige Nichts, zur Linken schälte sich irgendwann die riesenhafte Granitfestung des Brandberg-Massivs aus dem ansonsten flachen Dunst, eine ihrer Zinnen ist der höchste Berg Namibias, der 2573 Meter hohe Königstein. Erst mit der einsetzenden Dämmerung erreichte ich mein Wüstencamp. Sand, überall Sand.
Ich bestückte den Grill, mein Abendessen bestand aus gegrillten Tomaten mit Sand, Brot mit Sand sowie der traditionellen Boerewors, einer Wurstschnecke aus gemischtem Rind-, Schwein- und Antilopenfleisch. Und Sand. Wichtige Erkenntnis: Der erstmalige Aufbau eines Dachzelts bei Dunkelheit dauert ungefähr so lange wie die Dunkelheit selbst.
Erst im Morgengrauen zeigt sich das kümmerliche Ergebnis meiner Anstrengungen, mein Aufklappzelt wirkt wie die traurige Parodie der tadellos strammstehenden Behausungen auf dem Campingplatz um mich herum. Kein Wunder, dass ich nach dem Aufbau noch acht Metallstäbe übrig hatte. Noch interessanter sind allerdings die vielen Spuren im Sand. Die Wüste, sie lebt tatsächlich!
Um mich und mein Auto herum muss in der Nacht ein Kongress krabbelnder und schleichender Tiere stattgefunden haben. Und ein paar Meter weiter dampft frischer Elefantendung – Wüstenelefanten waren da! Ohne mir Bescheid zu sagen! Auf der Piste Richtung Etosha-Nationalpark muss ich mich nun sehr konzentrieren, denn schon in 118 Kilometern muss ich links abbiegen.
Aber allzu schnell bin ich ohnehin nicht: Mit dem Haus auf dem Rücken schleiche ich durch Namibia wie eine (nicht existente) Wüstenschnecke. Ich habe die Straßen unterschätzt, das Wort Rüttelpiste erfahre ich buchstäblich und in jeder denkbaren Art. Doch der Geländewagen kommt überall durch. Schien mir der bullige Bolide anfangs noch drei Nummern zu groß, bin ich jetzt schon völlig mit ihm verwachsen.
Elegant meistert er auch die miesesten Pisten, und im weichen Sand findet er den Weg ganz wie von selbst. Im Radio läuft der deutschsprachige Service von NBC, der Namibian Broadcasting Corporation, ein herrlich schläfriges Programm für die 20 000 Deutschnamibier. Heidi Höpfner aus Swakopmund etwa hat Handarbeitszeitschriften abzugeben, und ein Jugendlicher aus Windhoek sucht auf diesem Weg dringend eine Lederhose. Würde er eine Sandhose suchen, ich hätte da was für ihn.

Tag 4: Etosha-Nationalpark: Okaukuejo Camp - Fort Namutoni
Der Etosha-Nationalpark ist der größte Namibias und in jeder Hinsicht ein Park der Superlative: Größer als Israel, trotz zeitweise völliger Trockenheit eine der tierreichsten Gegenden der Erde, rund um eine gigantische Salzpfanne drapiert. Ich fahre vorbei an imposanten Salzseen, in der Ferne scheint die Luft zu kochendem Wasser zu zerfließen.
Dann haue ich mich selbst in die Etosha-Pfanne: Ich erreiche einen Aussichtspunkt inmitten der Salzwüste. Um mich herum nur Hitze, das Außenthermometer misst 45 Grad. Kein Schatten. Dafür gleißendes, ungefiltertes Licht, wie es nur aus einem sehr heißen Himmel kommen kann. Dass die Tiere sich hier so was bieten lassen! Und wo sind sie überhaupt?
Hat man nach der vielen Fahrerei erst mal die innere Ruhe wiedergefunden und relaxt einfach so an einem der zahlreichen Wasserlöcher, lohnt’s einem die Natur mit der Aufführung immer wieder neuer Akte des uralten Etosha-Dauerbrenners »Tiere haben Durst«. Eine riesige Elefantenherde macht sich am Wasserloch breit und obliegt dem Baden, Spielen und Trompeten.
Die tapsigen Kälber lassen sich, erschöpft vom Baden, mit herrlich frischem Staub besprenkeln. Oryxantilopen streiten sich mit einer Gruppe Zebras um den Trinkplatz mit der besseren Fluchtmöglichkeit, und eine kleine Herde zierlicher Springböcke findet Schatten unter verdorrten Bäumen. Das zierlichste Wesen aber ist das niedliche Dikdik, eine Zwergantilope, die so handlich und putzig einherstolziert, dass man sich über den unpassenden Namen ärgert. Viel besser wäre doch Dünndünn. Oder noch besser: Niedlichniedlich.
Und während eine Herde Kudus stolz die neuesten Kreationen ihrer kunstvoll gedrehten Hörner präsentiert, mümmele ich selbstvergessen kleine Stückchen aus meiner Biltong-Tüte, die immer auf der Mittelkonsole steht. Kudu-Biltong. Man kann nur hoffen, dass diese edlen Tiere niemals erfahren werden, dass ich, während sie sich hydrieren, auf ihren dehydrierten Artgenossen herumkaue.
Tag 5: Etosha-Nationalpark: Fort Namutoni - Windhoek
Der Nachthimmel über Namibia – ein tiefer, endlos sich spannender Samtvorhang, vor dem Myriaden grell funkelnder Sterne ein Leuchtspektakel aufführen, wie ich es noch nie gesehen habe. Der Mond scheint so hell, dass man fast eine Sonnenbrille braucht, um nicht geblendet zu werden.
Im Morgengrauen stehe ich auf, frühstücke ein bisschen Kaffee mit Sand und falte, mittlerweile gekonnt, mein tadellos aufgebautes Zelt zusammen. Ich verabschiede mich von Dieter und Monika aus Osnabrück, die ebenfalls mit dem Dachzelt-Jeep unterwegs sind – aber von Osnabrück aus und mit dem eigenen. Vier Monate und 12.000 Kilometer sind sie schon auf der Straße, ein Leben ohne Klappzelt in zwei Meter Höhe können sie sich gar nicht mehr vorstellen.
Ich hingegen kann mir ein Leben ohne Coolbox nicht mehr vorstellen. Zu meinem tapfer brummenden Bordkühlschrank habe ich in den vergangenen Tagen eine enge und sehr von Abhängigkeit geprägte Beziehung entwickelt. Alles, was nicht annähernd Außentemperatur hat, ist purer Luxus. Die Rückfahrt auf gepflegten Asphaltstraßen ist ein Genuss, ebenso wie die kühle Flasche Farmdudler in meiner Hand, eine lokale Kräuterlimonadenspezialität.
Namibia hat mir alles gegeben: reichlich Kilometer, Sand, Sonne, Hitze, Tiere und Fleisch. Entspannt war das nicht, aber sehr aufregend. Den Abschluss der Rundreise feiere ich, nach 2000 Kilometern zurück in Windhoek, in Joe’s Beerhouse, dem legendä- ren Biergarten des Landes. Wer nicht dort war, war nicht in Namibia, sagen sie. Zu eiskaltem Bier verspeise ich fast all die Tiere, die ich unterwegs gesehen habe, friedlich vereint auf einem Schaschlikspieß.
Tag 6: Windhoek
So gross, weit und leer Namibia ist, so klein und übersichtlich ist die Hauptstadt. Ja, fast niedlich – sie sollte besser Hoekhoek heißen. Quicklebendig ist sie auch. Supermärkte, Boutiquen, Shoppingmalls versorgen den wachsenden schwarzen Mittelstand, freie Sitzplätze sind in den Straßencafés nicht zu bekommen. Überall schießen neue Bauten empor und lassen die Überbleibsel der Kolonialzeit zur Randnotiz werden.
Die Alte Feste, einstiges Zentrum deutscher Kolonialmacht, ruht jetzt im Schatten des Independence Memorial Museum, eines beeindruckend scheußlichen Monumentalbaus, den die Windhoeker "Waschmaschine" nennen. Im Inneren wird mit angemessenem Pathos der Freiheitskampf Namibias erzählt. Dass nach der Unabhängigkeit 1990 der Übergang friedlich verlief, darauf ist der junge Vielvölkerstaat zu Recht stolz.
Ruhig, fast schläfrig geht es nur noch im alten wilhelminischen Bahnhof zu. Der komplette Zugverkehr wird auf Gleis 1 abgewickelt, vier Abfahrten am Tag. Der "Desert Express" nach Swakopmund verkehrt sogar nur Freitag und Samstag. Klingt extrem entspannt. Wenn ich das nächste Mal durch Namibia reise, dann nehme ich die Bahn.