Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war", schreibt Heinrich von Kleist am 21. November 1811 an seine Halbschwester. Nur Stunden später schießt sich der Dichter am Kleinen Wannsee bei Berlin in den Mund - kurz nachdem er seine krebskranke Freundin Henriette Vogel auf deren Wunsch durch eine Kugel ins Herz getötet hat.
So beendet Heinrich von Kleist ein exzentrisches Schriftstellerleben, das eigentlich der geregelten Laufbahn eines preußischen Adeligen hätte folgen sollen. Denn er wird 1777 als Abkömmling einer alten pommerschen Familie geboren, die zahlreiche Offiziere der preußischen Armee stellt. Und auch Heinrich schließt sich mit 14 Jahren der Truppe an, nimmt am Rheinfeldzug gegen Frankreich teil, wird 1797 zum Leutnant befördert.
Heinrich von Kleist schreibt, er passe "nicht unter die Menschen"
Aber der Heranwachsende ist mit den Ideen der Aufklärung infiziert, sieht zunehmend den Widerspruch zwischen seinen humanistischen Idealen und der gnadenlosen Disziplin im preußischen Militär. Und so scheidet Heinrich von Kleist 1799 aus dem Dienst aus. Inzwischen Waise, versucht er, die Bedenken seines Vormunds und seiner Familie zu zerstreuen, indem er ihnen einen genauen "Lebensplan" vorstellt: Erst will Kleist Mathematik, Logik und Latein studieren, dann Theologie, Philosophie und Physik, um Wissenschaftler zu werden.
Doch Kleist ist depressiv, passt "nicht unter die Menschen", wie er schreibt. Ständig schwankt er zwischen Krise und Aufbruch, kann nie lange an einem Ort bleiben, sich nicht für eine Sache entscheiden. Sein Studium bricht er nach drei Semestern ab, will in Frankreich Philosophie lehren. 1801 beschließt Heinrich von Kleist, Schriftsteller zu werden, und zwar nicht irgendeiner, sondern der "größte Dichter seiner Nation". (Zugleich will er als Bauer in der Schweiz leben.)
Seine Werke sind jedoch derart schonungslos, dass sie das Publikum provozieren. Denn wie sein eigenes Leben ein Taumel ist, so beschreibt Kleist auch die Welt: als aus den Fugen geraten. In seinen Stücken führen kleine Irrtümer zu Morden, sind die wahren Identitäten der Figuren oft rätselhaft und bestimmen Zufälle das Schicksal der Charaktere.
Gewalt spielt in Kleists Werk eine zentrale Rolle
Verstörend direkt schildert Heinrich von Kleist immer wieder exzessive Gewalt, etwa im Drama "Penthesilea", in dem die Heldin ihren Geliebten tötet und seinen Körper gemeinsam mit ihren Hunden zerfleischt. Die Novelle "Marquise von O...", in der Kleist eine Vergewaltigung und ihre sozialen Folgen darstellt, finden Leserinnen "abscheulich". Kein "Frauenzimmer" könne sie "ohne Erröten" lesen.

Nur drei von acht Dramen Heinrich von Kleists werden zu Lebzeiten aufgeführt. Ständig muss der junge Dichter nach neuen Einkommensquellen suchen, lässt sich in Berlin und Königsberg zum Finanzbeamten ausbilden, gründet in Dresden eine Literaturzeitschrift und gibt ab Oktober 1810 Berlins erste tägliche Zeitung heraus - ein Projekt, das nach einigen staatskritischen Artikeln von der Zensur in den Ruin getrieben wird.
Es ist aber nicht der drohende Bankrott, der Heinrich von Kleist verzweifeln lässt. Er scheitert vor allem an seinem Anspruch an sich selbst. Die Männer seiner Familie waren es gewohnt, auf dem Schlachtfeld Ruhm zu erlangen. Auch Kleist drängt es nach Anerkennung. Doch will er sie als Dichter erlangen - sein mangelnder Erfolg trifft ihn da umso härter.
Kleist findet eine Gefährtin, die Erlösung sucht
Der Gedanke an einen finalen Schlussstrich kommt auf, nicht zum ersten Mal in seinem Leben. Aber nun hat er auf dem Weg in den Tod eine Gefährtin. Über einen Freund hat er Henriette Vogel kennengelernt, ist seither immer wieder bei der klugen und lebhaften Frau zu Gast gewesen. Vielleicht um einem qualvollen Tod zu entgehen, träumt auch die Krebskranke von einer schnellen Erlösung. Durch Henriette sei seine "Seele zum Tode ganz reif geworden", schreibt Heinrich vonKleist in einem seiner letzten Briefe.
Als ihr Entschluss feststeht und sie am See eintreffen, sind die beiden gelöst. Wie Kinder gehen sie tollend spazieren, berichtet später ein Augenzeuge. Dann feuert Heinrich von Kleist die Schüsse ab. Ein Ende wie aus einem seiner Stücke.