Der erste LSD-Trip der Geschichte beginnt auf einem Fahrrad. Es ist Montag, der 19. April 1943, als der Chemiker Albert Hofmann 0,00025 Gramm eines weißen Pulvers in etwas Wasser verdünnt schluckt – und sich anschließend auf sein Rad setzt. Zehn Kilometer sind es von seinem Labor in Basel bis nach Hause. Es werden die längsten zehn Kilometer seines Lebens. Denn Hofmann hat das bislang stärkste bekannte Halluzinogen der Welt entdeckt; er weiß es nur noch nicht.
"Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel", wird der Wissenschaftler später notieren. Hofmann hat das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Dabei fährt er extrem schnell, wie seine Begleiterin – eine Laborassistentin – ihm klarzumachen versucht. Zu Hause angekommen, geht der"Horrortrip", wie Hofmann das nennt, was ihm widerfährt, erst richtig los. Dieser 19. April, als "Bicycle Day" berühmt geworden, bereitet einer neuartigen Droge den Weg, die Millionen Konsumentinnen und Konsumenten finden wird. Allerdings ganz anders, als der Chemiker beabsichtigt hatte.
Zunächst absolviert Albert Hofmann eine Kaufmannslehre
Albert Hofmann wird 1906 im schweizerischen Baden als ältestes von vier Geschwistern geboren. Zwar gilt er früh als Musterschüler, doch weil sein Vater, ein Schlosser, an Tuberkulose erkrankt, soll der Junge so früh wie möglich die Familienkasse aufbessern. Also absolviert er nach der neunten Klasse eine Kaufmannslehre, obwohl Bilanzen ihn nie interessiert haben. Sein reicher Patenonkel erkennt jedoch Alberts Potenzial und ermöglicht ihm, ein Privatgymnasium zu besuchen.
Das öffnet dem Arbeiterjungen den Weg in die Wissenschaft. Hofmann will wissen, woraus die lebendige Materie besteht, und studiert Chemie. Sein Doktorvater ist niemand geringeres als der spätere Nobelpreisträger Paul Karrer. Bereits mit 23 Jahren verlässt Hofmann die Universität wieder, als Doktor der Naturwissenschaften.
Doch statt der akademischen Welt treu zu bleiben, möchte Hofmann praktisch arbeiten und fängt beim Chemieunternehmen Sandoz in Basel an. Dort untersucht er die Funktionsweise von Arzneimittelpflanzen: Wie lassen sich die Wirkstoffe von Pflanzen als Medikament nutzen? Und wie können diese Wirkstoffe im Labor hergestellt werden? Der junge Chemiker beschäftigt sich erst mit der Meerzwiebel, dann mit verschiedenen Fingerhutarten und schließlich mit einem Schädling, der die Menschheit seit Jahrhunderten geplagt hat: Mutterkorn.
Dieser zapfenförmige, schwarz-violette Pilz wächst aus den Ähren von Getreide, vor allem von Roggen – und ist hochgiftig. Wurde das Getreide zu Brot verarbeitet, löste das Mutterkorn im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit immer wieder Massenvergiftungen mit Tausenden Toten aus. Gleichzeitig aber galt Mutterkorn als"Hebammen-Arznei" bei Schwangerschaftsabbrüchen, als wehenförderndes Mittel und zur Blutstillung nach der Geburt.
"Bicycle Day": Zehn Kilometer Radfahren im LSD-Rausch
Hofmanns Auftrag lautet, Stimulanzien für Kreislaufpatienten zu finden. So stellt der Chemiker auf Basis der Mutterkorn-Substanzen synthetische Verbindungen her. 1938 isoliert er aus dem Pilz Lysergsäurediethylamid, kurz LSD-25. Doch weil die Labormäuse nach Verabreichung des Stoffs lediglich unruhig werden, verfolgt die Firma Sandoz das Produkt nicht weiter.
Fast wäre das LSD-25 in Vergessenheit geraten, hätte Hofmann nicht fünf Jahre später, am 16. April 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg,"aus einer seltsamen Ahnung heraus", wie er notiert, noch einmal ein paar Krümel davon hergestellt. Und wenn dabei nicht etwas schiefgegangen wäre.
Denn noch im Labor überkommt den Chemiker eine Unruhe, er fühlt sich schwindelig. Zu Hause versinkt er in einen – wie er es nennt –"nicht unangenehmen" Dämmerzustand. Ist seine Haut bei der LSD-25-Produktion versehentlich in Kontakt mit dem Pulver gekommen? Das jedenfalls vermutet der Wissenschaftler.

Für den 19. April, der als"Bicycle Day" in die Geschichte eingehen wird, setzt Hofmann einen Selbstversuch an. Im Beisein einer Laborassistentin schluckt er um 16.20 Uhr das LSD. Sein Gefühl um 17 Uhr laut Protokoll: "Beginnender Schwindel, Angstgefühl, Sehstörungen, Lähmungen, Lachreiz."
In diesem Zustand radelt der Chemiker zehn Kilometer nach Hause. Dort beginnt sein Wohnzimmer, so beschreibt Hofmann es anschließend, sich zu drehen, Möbel tanzen umher. Seine Nachbarin verwandelt sich in"eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze". Hofmann sinkt auf sein Sofa, verspürt Todesängste. Es sei, als hätte ein Dämon von seinem Körper Besitz ergriffen."Die Substanz, mit der ich hatte experimentieren wollen, hatte mich besiegt."
LSD auf dem Weg zur weltweiten Modedroge
Plötzlich aber entwickelt sich der unheimliche Trip zu einer angenehmen Traumreise."Kaleidoskopartig sich verändernd, drangen bunte, fantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen öffnend und wieder schließend", schildert Hofmann. Geräusche wie vorbeifahrende Autos verwandelten sich in Formen und Farben. Vor allem aber erscheint ihm am nächsten Morgen die Welt"wie neu erschaffen".
Hofmann und sein Arbeitgeber erkennen das Potenzial des Halluzinogens für die Wissenschaft und die Psychiatrie sofort. 1949 bringt Sandoz es als Arznei unter dem Namen Delysid auf den Markt,"zur seelischen Auflockerung bei Psychotherapie", wirbt das Unternehmen. Das Medikament soll Therapeuten Zugang zum Unterbewusstsein ihrer Patienten eröffnen.
Während die Wissenschaft aber Studien präsentiert, in denen Menschen mit psychischen Störungen dank LSD wieder ins Gleichgewicht finden und Alkoholiker ihre Sucht überwinden, verbreitet sich das Halluzinogen auch auf ganz andere Weise: Auf der Suche nach einem Wahrheitsserum experimentiert der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA mit LSD. Und in den 1960er-Jahren geht der Stoff als Modedroge um die Welt. Nicht nur die Hippiebewegung und die Künstlerszene berauschen sich an LSD: Der Psychologe und Harvard-Professor Timothy Leary macht mit seinen Studierenden LSD-Gruppenexperimente und predigt, die Droge könne der Menschheit ihre verloren gegangene Spiritualität zurückgeben.
Immer häufiger zeigen sich die Schattenseiten der vermeintlichen Wunderdroge: Am 23. November 1967 schneidet die 24-jährige Amerikanerin Carol Metherd ihrem zweijährigen Sohn das Herz heraus – vermutlich unter LSD-Einfluss.

Hofman selbst hält den von ihm entdeckten Stoff als reines Genussmittel für "sicherlich ungeeignet", nennt LSD "mein Sorgenkind" und fordert eine seriöse Forschung. Stattdessen wird es in den USA und Europa verboten, wissenschaftliche Studien kommen zum Erliegen.
Heute, ein halbes Jahrhundert danach, erlebt die LSD-Forschung in der Chemiegeschichte ein Comeback. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler experimentieren wieder mit dem Halluzinogen: 2023 zeigte etwa eine Studie aus der Schweiz, dass LSD die Symptome von Depressionen lindern kann. Auch in den Alltag findet die Droge zunehmend zurück:"Microdosing" heißt der umstrittene Trend aus den USA, bei dem psychedelische Substanzen in kleinen Dosen konsumiert werden. Die Renaissance des LSD erlebte Albert Hofmann jedoch nicht mehr: Er starb 2008, im Alter von 102 Jahren, in der Schweiz.