Lyndon B. Johnson Space Center, Halle 9, Houston, Texas. Hier, in der legendären zentralen Trainingsstätte der NASA, proben russische, europä ische und amerikanische Astronauten in einem detailgetreuen Nachbau der Raumstation für den Ernstfall.
Unter der Aufsicht der Ausbilder um Tamara York lernen sie Feuer zu löschen, Luftvergiftungen zu bekämpfen, mit einem plötzlichen Druckabfall um zugehen. Sie wappnen sich für den nächsten Schritt in der Erkundung des Weltalls: für die „Horizons“Mission.
Am 6. Juni soll sie beginnen, fünf bis sechs Monate soll sie dauern. Und für ungefähr die Hälfte dieser Zeit soll der ESA-Astronaut Alexander Gerst, der 2014 bereits im All war, dabei das Kommando über die ISS übernehmen.
Dies ist ein kurzer Auszug aus der GEO-Titelgeschichte "Aufbruch ins All". Den gesamten Beitrag lesen Sie in Ausgabe 06/2018.
Der 42-Jährige ist der erste Deutsche, dem diese Verantwortung übertragen wird: die Kontrolle über die wohl auf wendigste Konstruktion, die Menschen jemals erbaut haben. Was wird die neue Rolle für ihn bedeuten? Und wie berei tet er sich darauf vor?
Um das zu verstehen, habe ich Gerst rund ein Jahr lang beim Training für die Mission begleitet. Ich bin ihm zur NASA nach Houston gefolgt, nach Köln und nach Russland. Habe mit seinen Ausbildern und mit Wissenschaftlern gesprochen, die allein in Europa 65 Experimente für ihn entworfen haben.
Es ist eine Reise mit einem modernen Entdecker geworden, den ich seit Langem kenne – seit einer Forschungs expedition in der Antarktis nämlich, in der Gerst als 29-jähriger Geophysik Doktorand den aktiven, von Gletschern gesäumten Vulkan Mount Erebus untersuchte (GEO 01/2007).
Gemeinsam zelteten wir gut zwei Wochen lang am Rand des Kraters bei 30 Grad unter null, erkundeten Eishöhlen, entkamen nur knapp einer Salve aus glühenden Lavabomben.
Seither habe ich Gersts Abenteuer als Wissenschaftler und Astronaut intensiv verfolgt: Wir teilen die Begeisterung für die Entdeckung des Unbekannten; und in unseren Gesprächen darüber fallen uns häufig Parallelen zwischen der Raumfahrt und Expeditionen in Eiswüsten oder die Ozeane der Erde auf.
In Momenten wie diesem allerdings, während der Notfallübung in Houston, steht doch außer Zweifel: Der Weg zu den Sternen ist mit Abstand das größte menschliche Abenteuer unserer Zeit.
Schon ein winziger Splitter, ein Kurzschluss, eine einzige falsche Entscheidung können eine Mission fatal scheitern lassen, die Raumfahrt womöglich um Jahre zurückwerfen.
Wir stehen damit eben noch ganz am Anfang: Seit rund 300.000 Jahren entdecken Menschen die Erde, haben entlegenste Bergtäler und Archipele besiedelt. Doch erst seit nicht einmal sechs Jahrzehnten sind wir in der Lage, unseren Planeten auch zu verlassen.
„Ich bin mir sicher“, sagt Gerst, als ich ihn zu Anfang seiner Missionsvorbereitung in Köln besuche, „wenn unsere Nachfahren später zurückblicken, dann werden sie diesem Entwicklungssprung ebenso viel Bedeutung zumessen wie dem Moment, in dem sich zum ersten Mal ein Fisch aus dem Wasser ans Land gewagt hat.“ Noch fehle uns bloß die Distanz, um die Tragweite unserer Epoche zu überschauen.
Tatsächlich liegt gerade jetzt ein gewaltiges neues Kapitel der Entdeckergeschichte vor uns: Bald soll es weiter ins All hinaus gehen – zu Zielen jenseits der ISS, zu unbekannten Regionen des Mondes, zum Mars.
Die „Horizons“-Mission ist der Auftakt dafür. Und sie lässt auch bereits erkennen, was für Charaktere diesen historischen Aufbruch prägen werden. Menschen wie Gerst. Man könnte ihn „Captain Future“ nennen.