GEO: Herr Professor Siemens, nach den jüngsten Angriffen auf Politiker und Wahlkampfhelfer ist immer wieder die Rede von "SA-Methoden" und "SA-Schlägertrupps". Ein treffender Vergleich aus Ihrer Sicht als Historiker?
Prof. Daniel Siemens: Zweifelsfrei sind die Angriffe auf politisch engagierte Menschen furchtbar. Es ist allerdings noch zu früh zu beurteilen, ob damit bereits ein neues Level in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik erreicht ist. Auch bestehen gewichtige Unterschiede zwischen den aktuellen Vorfällen und den SA-Gewalt in der Weimarer Republik.
Und zwar?
Vom Ausmaß der politischen Gewalt in der Weimarer Republik sind wir glücklicherweise weit entfernt. 1931/32 gehörte politische Gewaltkriminalität – darunter auch Angriffe mit Todesfolgen – zum Alltag. Jede Art der politischen Betätigung war gefährlich, manche Zeitgenossen sprachen gar von einem latenten Bürgerkrieg. Das besonders Gefährliche damals war, dass politische Gruppierungen Gewalt gezielt als Mittel der Politik propagiert und für sich genutzt haben. Polizei und Justiz schafften es seit den späten 1920er-Jahren immer weniger, wirkungsvoll dagegen vorzugehen.

Eine Parallele zwischen damals und heute ist doch aber sicherlich, dass die Angriffe wohl politische Gegner einschüchtern sollten?
Das stimmt. Aber in der Weimarer Republik handelte es sich um strukturell angelegte Gewalt. Sie war im großen Maße organisiert. Sie lebte zwar vom Empowerment einzelner Mitglieder vor Ort, war aber bei der SA in ein para-militärisches Befehls- und Gehorsams-System eingebunden. Gewalttätige Aktionen wurden von politischen Bewegungen oder Parteien gesteuert. Ob dies auch bei den Angriffen der letzten Zeit der Fall war, ist bislang unklar.