Bettinas Augen schweifen durch ihr Wohnzimmer. Sie betrachtet den alten Fernseher, der auf einem Schränkchen vom Flohmarkt steht, daneben Schachteln, Spielzeug, Basteleien ihres Sohnes. Alles ein wenig angestaubt, da lange nicht benutzt. Dann greift sie zum Stift und notiert einen Satz: "Hier ist es zugestellt, der Raum passt nicht mehr zu mir."
Luk, ihr Sohn, ist mittlerweile ein Teenager. Lieber zieht er sich in sein Zimmer zurück, hört Musik oder trifft sich mit Freunden. Warum also standen all diese Dinge wie in einer Oase des Spiels herum? Wohnungen, Räume und ganze Häuser sprechen zu uns, wenn wir ihnen zuhören, sagt die Architekturprofessorin und Autorin Clare Cooper Marcus. Für sie ist ein Zuhause "Spiegel des menschlichen Selbst", zuweilen gar ein Symptom der jeweiligen Lebenssituation. Wer die Botschaft von Räumen reflexiv entschlüsselt, kann etwas über sich und sein Leben verstehen. Erkennt, was die vergangenen Monate ausgemacht hat. "Hier wohnt eine Frau, die an etwas Vergangenem festklammert", schoss es Bettina durch den Kopf. Die Technik, Gedanken zu einem Raum aufzuschreiben, stammt ebenfalls von der Architekturpsychologin Marcus.
Angelehnt an Übungen der Gestalttherapie schlägt sie vor, das Papier mit den gewonnenen Erkenntnissen auf einen Stuhl gegenüber zu platzieren. Durch diesen Trick darf im nächsten Schritt symbolisch der Raum zu einem sprechen. Fast immer beschert die Technik Menschen "Aha-Erlebnisse", setzt Selbstreflexion in Gang. Bettina kaufte für das Wohnzimmer eine neue Couch, verstaute die Kinderspielsachen auf dem Dachboden – dabei begriff sie, dass auch sie sich mehr um ein Leben abseits der Mutterrolle bemühen wollte. Die Zeiten als Mutter, die nur um den Sohn kreiste, waren einer neuen Phase gewichen. Die räumliche Veränderung trat in Wechselwirkung mit ihrem Inneren.