Wissenschaft Forschende finden Ursprung des Stotterns im Gehirn

Lange vermuteten Experten psychologische Ursachen der Sprachstörung, heute gehen sie von neurologischen Gründen aus 
Lange vermuteten Experten psychologische Ursachen der Sprachstörung, heute gehen sie von neurologischen Gründen aus 
© Andrew Brookes / Getty Images
Einst hielt man Stottern für eine psychische Störung. Inzwischen ist klar, dass vielmehr die Regulierung der Sprachproduktion im Gehirn beeinträchtigt ist. Forschende haben nun die betroffene Region ausgemacht

Stottern kann verschiedene Ursachen haben - unabhängig davon geht es einer Studie zufolge aber auf ein bestimmtes Netzwerk im Gehirn zurück. Die Lokalisierung eröffne neue Möglichkeiten für die medizinische Behandlung, hofft das Forschungsteam. Womöglich könne zum Beispiel eine Hirnstimulation speziell auf das Netzwerk ausgerichtet werden.

Fünf bis zehn Prozent der Kleinkinder stottern 

Stotterer sind nicht schlechter darin, beim Sprechen die passenden Wörter zu finden. Beeinträchtigt ist die Fähigkeit, die beabsichtigten Worte adäquat auszusprechen. Die Störung des Sprachrhythmus ist durch unwillkürliche Laut- und Silbenwiederholungen, Verlängerungen und Sprechblockaden gekennzeichnet, wie es in der im Fachjournal "Brain" vorgestellten Studie heißt.

Ungefähr fünf bis zehn Prozent der Kleinkinder stottern demnach, geschätzt ein Prozent - überwiegend Männer - stottert bis ins Erwachsenenalter weiter, fast immer lebenslang. Stottern tritt über alle Kulturen hinweg ähnlich oft und familiär gehäuft auf. In Deutschland stottern nach Schätzungen etwa 800 000 Menschen dauerhaft.

Experten gehen mittlerweile von einer Störung des Gehirns aus 

Schweres Stottern kann sich negativ auf das Leben des betroffenen Menschen auswirken, vor allem wegen kränkender oder gar aggressiver Reaktionen von Mitmenschen. Helfen können Therapien zum Erlernen einer Sprechtechnik und zur Stressreduktion. Wirksame pharmakologische oder neuromodulatorische Behandlungsmöglichkeiten gibt es dem Forschungsteam um Juho Joutsa von der Universität Turku (Finnland) zufolge bisher nicht.

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"Stottern wurde früher als psychische Störung angesehen", erklärte Joutsa. Inzwischen sei die gängige Annahme, dass es sich um eine Störung des Gehirns handelt, die mit der Regulierung der Sprachproduktion zusammenhängt. Auch bestimmte neurologische Erkrankungen wie die Parkinson-Krankheit oder ein Schlaganfall könnten Stottern zur Folge haben.

Ein Gehirnnetzwerk scheint verantwortlich 

In die Studie bezog das Team Menschen ein, die einen Schlaganfall erlitten und unmittelbar danach zu stottern begannen hatten. Die Schlaganfälle traten demnach zwar in verschiedenen Teilen des Gehirns auf, betrafen aber alle das gleiche Gehirnnetzwerk - im Gegensatz zu Schlaganfällen, die kein Stottern verursachten.

Zusätzlich untersuchten die Forschenden mittels sogenannter Magnetresonanztomographie (MRT) die Gehirne von 20 Menschen, bei denen sich das Stottern in der Kindheit entwickelt hatte. Auch sie zeigten strukturelle Veränderungen in Knotenpunkten dieses Gehirnnetzwerks.

Ein Kerngebiet des "Putamens" im Gehirn 

Das Team schließt daraus, dass Stottern stets in diesem Netzwerk entsteht, unabhängig davon, ob es entwicklungsbedingt oder neurologisch verursacht ist. Das Zentrum des Gehirnnetzwerks bildet demnach ein Bereich des Putamens, eines Kerngebiets im Großhirn. Das Putamen sei etwa an internem Timing und der Programmierung motorischer Bewegungen beteiligt, auch im Gesichtsbereich einschließlich der Lippenbewegungen. Beteiligt seien zudem Regionen der Amygdala und des Claustrums, die ebenfalls tief im Gehirn liegen, sowie Verbindungen zwischen ihnen.

"Diese Erkenntnisse erklären bekannte Merkmale des Stotterns wie die motorischen Schwierigkeiten bei der Sprachproduktion und die signifikante Variabilität des Schweregrads des Stotterns in verschiedenen emotionalen Zuständen", erklärte Joutsa. "Als wichtige Areale im Gehirn regulieren das Putamen die motorischen Funktionen und die Amygdala die Emotionen." Das Claustrum wiederum fungiere als Knotenpunkt für mehrere Gehirnnetzwerke und leite Informationen zwischen ihnen weiter.

Annett Stein

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