Name-Letter-Effekt Wie die Buchstaben des eigenen Namens unser Leben lenken

Viele Buchstaben, ein Favorit: Unser Gehirn bevorzugt, was ihm vertraut erscheint – wie die Buchstaben des eigenen Namens. 
Viele Buchstaben, ein Favorit: Unser Gehirn bevorzugt, was ihm vertraut erscheint – wie die Buchstaben des eigenen Namens. 
© Getty Images
Ob Partnerwahl, Lieblingsort oder Traumberuf: Unser Name beeinflusst mehr, als wir glauben. Der Name-Letter-Effekt zeigt, wie subtil unser Unterbewusstsein mitentscheidet

Was wir kaufen, wen wir mögen, welchen Beruf wir wählen: All das erscheint uns als Ergebnis einer freien, bewussten Wahl. Doch unser Gehirn liebt Vertrautes, bevorzugt insgeheim Gewohntes. Manchmal so sehr, dass es selbst eine Vorliebe für Buchstaben hat, die an uns selbst erinnern. An unseren Namen zum Beispiel. Ein scheinbar unbedeutendes Detail – und doch birgt es einen der charmantesten Effekte der Psychologie: den Name-Letter-Effekt.

Bereits in den 1980er-Jahren beobachtete der belgische Psychologe Johan Nuttin ein merkwürdiges Muster: Menschen zeigen eine auffällige Präferenz für Buchstaben, die im eigenen Namen vorkommen – insbesondere für den Anfangsbuchstaben. In Experimenten bat Nuttin die Versuchspersonen, einzelne Buchstaben auf einer Skala zu bewerten. Immer wieder landeten dabei jene Zeichen weit oben, die Teil des eigenen Namens waren – und zwar ganz unabhängig von ihrer sprachlichen Häufigkeit oder formalen Ästhetik. Aus diesem überraschenden Befund wurde der Begriff "Name-Letter-Effekt" geboren, der inzwischen in zahlreichen Studien untersucht und bestätigt wurde.

Hinter dem Phänomen steckt ein Mechanismus, der unter anderem als "Implicit Egotism" bezeichnet wird: implizite Selbstbezogenheit. Die Idee dahinter: Grundsätzlich neigen Menschen dazu, sich selbst wohlwollend zu betrachten. Sie bewerten ihren Charakter als gut, ihre Entscheidungen als nachvollziehbar. Und diese positive Selbstbewertung strahlt aus auf Dinge, die mit uns in Resonanz stehen. Was uns ähnelt, gefällt uns besser.

Das Initial unseres Vornamens weckt Emotionen

Selbst wenn es sich dabei nur um einzelne Buchstaben handelt, die mit unserer Identität zu tun haben. Besonders das Initial unseres Vornamens scheint dabei unterschwellig eine deutliche emotionale Aufwertung zu erfahren. 

Dieser unbewusste Hang zur Selbstähnlichkeit kann weitreichende Folgen für das Leben haben – subtil zwar, doch messbar. In einer vielzitierten Studie fanden amerikanische Psychologen heraus, dass Menschen häufiger in Städte ziehen, deren Namen mit demselben Buchstaben beginnen wie ihre eigenen: Eine "Laura" lässt sich mit statistischer Auffälligkeit oft in Los Angeles nieder, ein "Kevin" eher in Kansas City. Noch augenfälliger ist der Effekt bei Berufswahlen: Dennis wird signifikant häufiger Zahnarzt ("dentist") als etwa ein Thomas oder Michael. Und auch bei der Partnerwahl scheint der eigene Anfangsbuchstabe eine Rolle zu spielen. Zumindest wenn man große Datenmengen auswertet: Paare mit übereinstimmenden Initialen kommen laut Studien ein klein wenig häufiger zusammen, als es der Zufall vermuten ließe.

So drollig diese Korrelationen klingen mögen – und so schön sie sich erzählen lassen –, sie sind keineswegs bloß kuriose Spielereien der Statistik. Sie verweisen auf einen Grundzug menschlicher Wahrnehmung: den Drang, in einer komplexen, chaotischen Welt Muster zu erkennen. Und sich selbst dabei als Zentrum der Ordnung zu begreifen. So kann selbst ein harmloser Buchstabe in unserem Inneren einen Widerhall erzeugen – und uns in eine bestimmte Richtung tendieren lassen.

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Dennoch: Nicht alle Forscherinnen und Forscher teilen den Enthusiasmus über den Name-Letter-Effekt. Zwar lässt sich der Befund in verschiedenen Kontexten replizieren, doch Kritiker verweisen darauf, dass viele der Studien mit sehr großen Datensätzen arbeiten, in denen auch schwache statistische Zusammenhänge auffällig erscheinen können – schlicht, weil so viele Variablen mitspielen. Andere mahnen zur methodischen Vorsicht: So seien manche der früheren Arbeiten nicht ausreichend kontrolliert abgelaufen, mögliche Alternativerklärungen wie kulturelle Konventionen oder Namensmoden seien nicht berücksichtigt worden.

Entscheidungen speisen sich aus Selbstliebe und Vertrautheit

Und doch bleibt das Phänomen faszinierend. Denn es berührt eine tieferliegende Frage: Wie autonom sind unsere Entscheidungen wirklich? Wie viel von dem, was wir für rational, individuell oder sogar einzigartig halten, ist in Wahrheit das Resultat unbewusster Tendenzen. Gespeist aus Selbstliebe, Wiedererkennungswert und kognitiver Bequemlichkeit? 

Der Name-Letter-Effekt mag klein sein und unbedeutend erscheinen. Aber er lenkt den Blick auf einen größeren Zusammenhang: dass wir inmitten vermeintlich objektiver Wahlfreiheit oft auf verborgene innere Spuren reagieren.

Schon die Römer ahnten: Nomen est omen. Vielleicht lohnt es sich also, beim nächsten Formular, das wir ausfüllen, beim nächsten Ortsschild, das wir lesen, oder beim nächsten Vornamen, der uns sympathisch erscheint, kurz innezuhalten. Nicht, weil der Anfangsbuchstabe uns zwingt, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Sondern weil er – wie so vieles in unserem Denken – ein leiser Hinweis darauf sein kann, wie eng verwoben unser Selbstbild mit der Welt da draußen ist.

Die Initiale auf dem Klingelschild, der Buchstabe auf dem Kaffeebecher, das Kürzel auf dem Nummernschild: Bleibt unser Blick einen merklichen Moment länger darauf haften? Und spüren wir, wenn wir uns dessen gewahr werden, den tieferen Grund? Das mag uns keine weltbewegende Erkenntnis verschaffen. Aber es zeigt, dass selbst das scheinbar Belanglose ein leises Echo in uns hervorrufen, eine Verbindung zwischen dem Innen und dem Außen herstellen kann. Und das zuweilen dazu beitragen kann, welchen Weg wir beschreiten.