Kopf oder Zahl Großer Wurf? Warum Entscheidungen per Münze unfair wirken

Liegen die Chancen 50 zu 50 – oder gibt es eine minimale "taumelnde Asymmetrie"? 
Liegen die Chancen 50 zu 50 – oder gibt es eine minimale "taumelnde Asymmetrie"? 
© Natali Mis / Adobe Stock
Psychologen haben untersucht, warum das Kopf-oder-Zahl-Verfahren häufig als ungerecht empfunden wird. Mathematiker berechnen seine Wahrscheinlichkeit 

Ich erinnere mich an mein Praktikum bei einem renommierten Magazin. Es gab eine Aufgabe im Redaktionsalltag, die bei Redakteuren und Redakteurinnen äußerst unbeliebt, da stressig und mit einer gewissen Fallhöhe des Scheiterns verbunden war. Die wiederkehrende Pflicht wurde gern an Praktikanten ausgelagert. Und da es ein bedeutendes deutsches Magazin war, das sich zwei ehrgeizige Journalistenschüler leisten konnte, wurde gelost, wer die Aufgabe übernehmen sollte: ein Referat vor allen Ressortleitern zu halten, allesamt Alphatiere und damals in der Mehrzahl männlich. Wir wählten den Münzwurf.  

Kopf oder Zahl – angeblich ist ja der kairós, die göttliche Fügung des Augenblicks, zutiefst gerecht, da eben Zufall oder Schicksal über eine Gelegenheit entscheiden. Doch die Wahl fiel auf mich, und ich weiß noch, dass ich das damals als ungerecht fand. Denn die andere Praktikantin hatte die Münze geworfen. Auch an ihrem Gesicht konnte ich ablesen, dass ihr das Ergebnis unangenehm war. Genau dieses Phänomen haben jetzt Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Studien zu ergründen versucht. 

Kontrollillusion beim Werfen

In 11 Studien mit fast 6000 Teilnehmenden ließen die Psychologen Rémy Furrer, Timothy Wilson und Daniel Gilbert jeweils zwei Personen gegeneinander antreten, um eine Entscheidung per Münzwurf zu erzielen. Heraus kam, dass die Teilnehmer, die verloren, ihr Gegenüber als weniger sympathisch und den Prozess insgesamt als unfair empfanden. Dies traf insbesondere dann zu, wenn der andere die Münze geworfen und zudem "Kopf oder Zahl" angesagt hatte. Allerdings fühlte sich auch der ausführende Werfer mit dem Ergebnis unwohl und hatte ein schlechtes Gewissen angesichts seines Zufallserfolges. 

Die Forschenden führen dies auf eine sogenannte Kontrollillusion beim Werfen zurück, nach der der Werfende den Wurf stärker zu beeinflussen vermag. Die Illusion der Ungerechtigkeit, so die Forschenden, sei ein schneller und intuitiver, nicht kontrollierbarer Prozess. Offenbar glauben Menschen, dass der Werfende den Zufall kontrollieren oder besser mitgestalten könne. Ein Phänomen, das auch vom Glücksspiel und vom Würfeln bekannt ist. 

Asymmetrische Verzerrung? 

In dem Studiendesign wurden die Teilnehmenden jeweils mit einem Gegenüber verpaart, das sie nicht kannten und für das sie folglich keinerlei Emotionen hegten. Ob die Ergebnisse bei Vertrauten oder gar Freunden anders ausfallen, so die Forschenden, müssen weitere Studien zeigen. Neben der Unfairness-Hypothese gibt es weitere psychologische Erkenntnisse über Münzwürfe, die diese als effektives Werkzeug bei Menschen mit Entscheidungsblockaden ansehen. Betroffenen helfe das Kopf-oder-Zahl-Verfahren, aus einer Lähmung zu gelangen und psychologisch etwas Wichtiges zu tun: wieder zu handeln. 

Ob allerdings ein Münzwurf tatsächlich Inbegriff der 50-50-Wahrscheinlichkeit des neutralen Zufalls ist, beschäftigte bereits Persi Diaconis, einen Mathematiker, der als Zauberer begonnen hatte, bevor er sich entschied, Mathematik zu studieren. Normalerweise wird angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit von Kopf oder Zahl jeweils 50 Prozent beträgt. Diaconis aber führt die These ins Feld, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 51 Prozent jene Seite der Münze oben landen wird, die vor dem Wurf nach oben zeigte. Dies liegt dem Mathemater zufolge an einem gewissen Taumeln der hoch und wieder hinab fliegenden Münze. Dieses Phänomen soll nach Diaconis zu der leichten Entscheidungsasymmetrie führen. Die 50-50-Verteilung könnte also von den Gesetzen der Physik und Mathematik tatsächlich minimal tangiert sein. 

Historisch geht der Münzwurf auf das Römische Reich zurück. Die Münzentscheidung wurde als quasi göttliche und später kaiserliche Entscheidung angesehen (Julius Caesar setzte Münzwürfe ein, und sein Konterfei auf der einen Seite der Münze soll "Ja" bedeutet haben). Der Wurf diente damals sowohl dem unterhaltsamen Glücksspiel als auch der Entscheidungsfindung, er folgt der Tradition des Losverfahrens. Heute wird er trotz leichter Ungerechtigkeitsgefühle nicht mehr als göttlich, sondern überwiegend als rationales Verfahren betrachtet, mit dem auch im Sport wichtige Entscheidungen herbeigeführt werden. Doch um diese gänzlich von Ungerechtigkeitsgefühlen freizuhalten, ist die schwankende und wankende Münze offenbar nicht ideal. Der Griff zum stabileren Papier-Los könnte in der Entscheidungslotterie die glücklichere Wahl sein.

Wer andere wahrnehmen möchte, sollte sich zunächst in Selbstreflexion üben. Denn wir nehmen Menschen durch die Brille unserer Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen wahr 

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Und das renommierte Praktikum? Im Monat darauf musste die andere Praktikantin vorsingen, insofern stellte die Zeit Gerechtigkeit über den Münzflug her. Geschadet hat der Einsatz uns beiden nicht. Im Gegenteil, das Referat erwies sich als günstige Gelegenheit im Sinne des chancenbringenden kairós.