GEO: Frau Dr. Bercht, Sie weisen in einem Kommentar im renommierten Fachmagazin Nature Climate Change darauf hin, dass Forschende bei der Arbeit vor Ort emotionalen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind, die zu wenig Beachtung finden. Haben Sie das selbst erlebt?
Dr. Anna Lena Bercht: Für meine Promotion habe ich im chinesischen Guangzhou zu den Auswirkungen der rasanten Urbanisierungsprozesse auf die Landbevölkerung geforscht. Ich habe zahlreiche Interviews geführt und wurde mit vielen Schicksalsschlägen konfrontiert. Da fühlte ich mich in einigen Situationen schon überfordert – auch, weil ich nicht darauf vorbereitet war, mit einem Spannungsfeld an Emotionen wie wissenschaftlicher Neugier und Faszination für mein Forschungsthema einerseits und Gefühlen wie Mitleid, Traurigkeit und Ohnmacht andererseits umzugehen. Zugleich hatten wir Forschenden nicht immer das Gefühl, offen darüber sprechen zu können – aus Sorge, als unseriös zu gelten und an wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Sie haben auch auf den Lofoten geforscht. Haben Sie da ähnliche Erfahrungen gemacht?
Ja, ich habe vor Ort die Auswirkungen des Klimawandels auf die regionale Küstenfischerei untersucht. Der ganze Archipel lebt vom Kabeljau, aber mit steigenden Wassertemperaturen sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass er weiterhin zum Laichen an die Küsten kommt. Ich habe gesehen, wie die Fischer an manchen Tagen mit leeren Händen vom Fischfang zurückkamen. Wenn ich mit ihnen sprach, spürte ich ihre Angst und Verzweiflung.
Es gibt unzählige Beispiele. Eine Kollegin hat in Panama mit Indigenen gearbeitet, da ging es auch um klimabedingte Umsiedlung, also um Menschen, die ihre Inseldörfer verlassen mussten. Generell erleben wir in der Feldforschung aus nächster Nähe, was es bedeutet, sein Zuhause, seine Identität, Geborgenheit und Lebensgrundlagen zu verlieren. Das ist auch für jemanden, der nicht unmittelbar betroffen ist, belastend.
Ist es nicht angesichts der Probleme der Menschen vor Ort ein bisschen übertrieben, sich um die psychische Gesundheit gut abgesicherter Forschender aus dem reichen Norden zu sorgen?
Natürlich stellt sich immer die Frage, auf welchem Niveau man klagt. Ich glaube aber, dass eine gesunde Psyche die Voraussetzung für eine Forschung ist, die ich für sehr wichtig halte. Ich weiß von Kolleginnen und Kollegen, die aufgehört haben, die aufgrund der Belastungen in der Feldforschung an Depressionen erkrankt sind.
Das Missverhältnis, das in Ihrer Frage anklingt, spüren ja auch die Forschenden selbst. Sie sind durchaus auch mit Schuldgefühlen konfrontiert. Nicht selten müssen sie sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, als Menschen aus dem globalen Norden eine Mitverantwortung an postkolonialen Klimaungerechtigkeiten zu tragen. Zudem haben Forschende natürlich auch mit Ängsten zu tun, die sie selbst betreffen. Wie geht man mit dem um, was laut neuester Studien noch auf uns zukommt? Dass in der Klimapolitik viel zu wenig passiert? Wir Forschenden sind am Ende ja auch Menschen. Für solche Fragen und Gefühle gibt es vor allem in den Klimawissenschaften wenig Raum. Ich habe ein tolles kollegiales Netzwerk. Aber es gibt auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sagen, man solle Emotionen nicht ansprechen, weil man uns sonst vorwerfen könne, die Forschung sei befangen und unprofessionell.
Ist der Vorwurf denn berechtigt?
Eine Gleichsetzung von Professionalität mit Emotionslosigkeit ist nicht nur unrealistisch, sondern auch problematisch. Sie verkennt, dass Forschen, gerade im Kontext der Klimakrise, immer auch ein Beziehungsgeschehen ist, und dass Emotionen ein integraler Bestandteil des Forschens sind. Die Herausforderung sollte daher nicht darin bestehen, Emotionen zu unterdrücken oder herunterzuspielen, sondern darin, sie bewusst wahrzunehmen, kritisch zu reflektieren und produktiv in die wissenschaftliche Arbeit zu integrieren.
Ist das Verschweigen oder Herunterspielen der psychischen Belastung ein Problem einer männlich dominierten Disziplin?
In der Tat sind viele wissenschaftliche Kulturen – insbesondere in den Natur- und Technikwissenschaften, zu denen auch große Teile der Klimaforschung gehören – historisch männlich geprägt. Möglich ist immerhin, dass eine kulturelle Prägung in Sinne von "Stärke zeigen", Durchhaltevermögen und emotionaler Zurückhaltung eine Rolle spielt. Gleichzeitig überwiegen in den Klimawissenschaften quantitative Methoden, die auf Prinzipien wie Objektivität, Neutralität und Reproduzierbarkeit beruhen. Ich möchte nicht ausschließen, dass dieses methodologische Selbstverständnis – unabhängig von Geschlecht oder Gender – dazu beitragen kann, emotionale und psychische Belastungen weniger zu thematisieren.
Ich sehe aber auch, gerade bei jüngeren Forschenden und in interdisziplinären Kontexten, eine zunehmende Sensibilität. Es gibt heute mehr Offenheit für Fragen psychischer Gesundheit und mehr Diskussionen zum Umgang mit Stress und Belastungen. Diese Debatte muss aber noch stärker in den Klimawissenschaften selbst verankert und weitergeführt werden.
Was schlagen Sie vor?
Wenn man Feldforschung betreibt, braucht man Offenheit und Sensibilität, gleichzeitig aber auch eine emotionale Distanz zu den Daten, die man erhebt. Das ist eine sehr anspruchsvolle Gratwanderung, und Gefühle von Forschenden sind – von wenigen Forschungsfeldern abgesehen – nach wie vor ein Tabuthema. Um das aufzubrechen, bieten sich zum Beispiel spezielle Lehrangebote und Kolloquien an. Man könnte sich auch Expertinnen oder Experten im Umgang mit emotionalen Belastungen einladen. Wer sich bei einem Forschungsaufenthalt belastet fühlt oder einfach mal reden möchte mit Leuten, die in einer ähnlichen Position sind, dem kann auch Peer Coaching helfen, also ein regelmäßiger Austausch unter Forschenden in einer ähnlichen Lage. Sich zu vernetzen, ist ja mit den technischen Möglichkeiten von heute kein Problem. Ich denke, das ist wichtig, um für sich zu sorgen, psychisch gesund zu bleiben und gleichzeitig auf hohem Niveau wissenschaftlich arbeiten zu können.
Manche Forschenden treten trotz der Kritik aus den eigenen Reihen als Aktivisten auf, oder zumindest als Unterstützer der Aktivisten. Ist das aus Ihrer Sicht ein legitimer Weg, mit den Belastungen umzugehen?
Da gibt es verschiedene Standpunkte. Manche meiner Kolleginnen und Kollegen sind sehr aktivistisch unterwegs, andere halten Abstand. Ich selbst finde es schwer, das richtige Maß der Parteilichkeit zu definieren. Es hängt von vielen Faktoren ab, letztlich auch von der eigenen Persönlichkeit. Bin ich ein extrovertierter Mensch? Bin ich jemand, der Wut oder Angst reduzieren kann, indem ich mich engagiere? Beim Aktivismus sehe ich allerdings auch die Gefahr, dass Komplexität reduziert und Sachverhalte verkürzt werden. Gerade in Zeiten der Unsicherheit ist das Verlangen nach einfachen Antworten groß. Aber je politischer ich werde, desto größer ist auch die Angriffsfläche aus der Politik heraus. Jedenfalls finde ich es wichtig, dass man seine Forschung an die Öffentlichkeit bringt und aufzuklären versucht – auch mit klaren Statements. Wichtig ist, dass man dabei nicht nur alarmistisch ist, sondern Lösungen und bereits erprobte Maßnahmen aufzeigt. Mir fehlt in der Debatte der Aspekt, dass ein Mehr an Klimaschutz nicht nur Verzicht bedeutet – sondern auch einen Gewinn an Lebensqualität mit sich bringen kann.
Warum ist Aktivismus gerade in den Klimawissenschaften so umstritten?
Die Klimaforschung aktiviert – im Gegensatz zum Beispiel zur Mathematik – Ängste: davor, dass wir unsere Lebensgewohnheiten ändern, dass wir auf Dinge und Gewohnheiten verzichten müssen. Gleichzeitig betreffen uns die Auswirkungen in Form von Hitzewellen und Flutereignissen ganz unmittelbar. Auch das löst Ängste und Verdrängung aus. Zudem treten einige Aktivistinnen und Aktivisten provokant auf. Das erzeugt Widerstand. Wenn Forschende sich aktiv für politische oder gesellschaftliche Maßnahmen einsetzen, kann dies von einigen als Vermischung von Wissenschaft und persönlichen Interessen gesehen werden – was Zweifel an der Unparteilichkeit und Glaubwürdigkeit ihrer Forschung hervorrufen kann.
Die gesellschaftliche Bedeutung von Klimapolitik und -schutz schwindet mit dem Rechtsruck in vielen Ländern, die zweitgrößte Fraktion im deutschen Bundestag leugnet den menschengemachten Klimawandel. Ist das ein weiterer Stressfaktor für Forschende?
Das ist eine recht neue Entwicklung – und es ist auf jeden Fall eine zusätzliche Belastung für Forschende. Natürlich fragen sich viele, wozu sie in den vergangenen Jahren eigentlich geforscht haben, wenn Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen jetzt teilweise zurückgenommen werden. Die Politik darf das Problem nicht bei dem Einzelnen abladen. Es ist ein kollektives, ein Gemeinschaftsproblem.