In der an Verbrechen reichen Geschichte der europäischen Kolonialherrschaft in Afrika ist die Ausplünderung des Kongo das vielleicht schlimmste. Ab 1885 errichtet Belgiens König Leopold II. im Herzen Afrikas ein Schreckensregime, dem zehn Millionen Menschen zum Opfer fallen werden.
In den Jahren zuvor hat der Monarch neidisch das Treiben der großen Kolonialmächte verfolgt. Bald interessiert ihn vor allem Afrika, wo sich die Europäer bislang nur in Algerien, dem Senegal, in Südafrika sowie in zahlreichen Forts, Handelsstützpunkten und Städten an den Küsten festgesetzt haben. Nun aber beginnt die Erkundung des Inneren. Dabei geht es anfangs nur darum, den Konkurrenten zuvorzukommen, noch nicht um die Erschließung von Bodenschätzen.
Leopold tarnt sich als Wohltäter. Auf einem Geographischen Kongress in Brüssel erklärt er den begeisterten Anwesenden 1876, er wolle im Kongobecken, das für seinen Sklavenhandel berüchtigt ist, „Versorgungs-, Wissenschafts- und Befriedungsstationen“ einrichten, um Einheimischen die Segnungen der Zivilisation zu bringen: ein Ende des Menschenhandels, Frieden und Sicherheit.
Er gründet mehrere angeblich humanitäre Gesellschaften, sammelt Spenden ein. Doch mindestens eine der Firmen ist rein kommerziell orientiert – und gehört ihm allein. Den Landerwerb im Kongo besorgt der Abenteurer Henry Morton Stanley. Gegen wertlosen Tand, Alkohol oder auch mit Gewalt handelt der Amerikaner in den folgenden Jahren mehr als 400 Häuptlingen ihr Land ab.
Leopold II. gründet den „Kongo-Freistaat“
Nun muss Leopold nur noch die anderen Kolonialmächte dazu bringen, seine Vorherrschaft dort anzuerkennen. Der Plan: Er will sie davon überzeugen, dass er am besten in der Lage ist, im Kongo, mehr als 76-mal so groß wie Belgien, für Stabilität und freien Handel zu sorgen.
Ab Ende 1884 beraten zwölf europäische Nationen sowie die USA und das Osmanische Reich in Berlin darüber, wie sie mit dem Kongo und weiteren künftigen Kolonien auf dem Kontinent umgehen wollen. Vertreter aus Afrika sind nicht eingeladen.
Leopolds Spiel geht auf: 1885 einigen sich die Diplomaten darauf, den Kongo in seine Obhut zu geben, um dort eine neutrale Freihandelszone zu errichten, von der alle profitieren sollen. Leopold II. gründet den „Kongo-Freistaat“, lässt Handelsposten und Eisenbahn bauen, richtet einen Schifffahrtsdienst ein, fördert Missionen.
Doch ab 1888 wacht seine eigens aufgestellte Kolonialarmee vor allem über eines: Produktionszahlen. Bereits 1897 exportiert der Freistaat pro Jahr 245 Tonnen Elfenbein, fast 50 Prozent des Welthandels. Einheimische Träger müssen die Stoßzähne an die Verladeplätze schleppen. Wer gegen den Zwangsdienst aufbegehrt, den peitschen die Soldaten aus oder bringen ihn um.
Als durch die Erfindung des aufblasbaren Gummireifens der Bedarf an Naturkautschuk stark zunimmt, zwingt Leopold jeden Kongolesen, monatlich eine Steuer in Form von Kautschuk zu bezahlen. Schon bei geringen Abweichungen von der Norm werden Sammlern Nase oder Hände abgehackt.
Leopolds Soldaten nehmen Frauen und Kinder als Geiseln, um die Väter zum Kautschuksammeln zu erpressen. Schergen treiben Dorfbewohner zusammen und erschießen sie, um Exempel zu statuieren.
Afrika hat der Belgiens König nie besucht
Um 1900 ist der Kongo die profitabelste Kolonie des Kontinents. Berichte einiger Missionare über die Zustände dort verhallen. Erst als ein Journalist Schilderungen der Gräuel veröffentlicht und ein britischer Diplomat sie 1903 vor Ort im Kongo bestätigt, gerät Leopold unter Druck. Um die Vorwürfe zu entkräften, schickt er eine Kommission in den Freistaat. Deren Report belastet ihn schwer.
Der König ist als Herrscher der Kolonie nicht mehr tragbar. Aber er will sie nicht einfach abgeben: Der belgische Staat soll sie ihm abkaufen. Brüssel bleibt keine Wahl, wenn es seine internationale Reputation wahren will, und so wird der Freistaat im November 1908 belgisch.
Als Ausgleich erhält Leopold 45 Millionen Francs für Bauprojekte. Zudem gesteht ihm die Regierung eine Gratifikation von 50 Millionen Francs zu – „zum Zeichen der Dankbarkeit für die großen Opfer“, die er für den Kongo gebracht habe. Doch das Geld kann der König nicht mehr abrufen. Er stirbt am 17. Dezember 1909. Afrika hat er in seinem Leben nie besucht.
1924 wird eine Volkszählung ergeben, dass aufgrund der brutalen Kolonialherrschaft die Zahl der Kongolesen zwischen 1880 und 1920 um die Hälfte geschrumpft ist.