Würstchenduft weht über den Kratersee von Furnas. Am Ufer vor den Tretbooten dampft schwefelgelber Boden zwischen den Steinen. Hinter einem Holzzaun ist die Erde zu großen Maulwurfshügeln aufgehäuft. Zwei Männer tragen mit Schaufeln vorsichtig einen der Haufen ab. Dann ziehen sie an Eisenhaken einen fast meterhohen Topf heraus.
Auf São Miguel kocht der Vulkan – und die Restaurants vom Städtchen Furnas lassen ihn für sich schuften. Es gibt Eintopf, wie immer. Schweinerippchen, Hühnerbeine und Blutwurst, Süßkartoffeln, Karotten und ein paar Kohlblätter, alles bei 80 Grad im vulkanischen Erdofen durchgegart. Sechs Stunden dauert es, bis der Cozido, der berühmte Azoren-Schmortopf, fertig ist, deftige Kost, die nach den Tieren schmeckt, die auf São Miguel in der Atlantikbrise auf den Weiden stehen, und nach Gemüse, das viel Sonne, Wärme und Regen abbekommen hat. Da sich auch das Schwefelige des Vulkans ein wenig ins Essen mischt, ist der Cozido wie die Essenz dieser kleinen Azoren-Insel im Atlantik zwischen Europa und Amerika.
Vulkane schufen den Archipel weit vor der portugiesischen Küste, in dem es heute noch rumpelt und gärt, weil sich auf dem Meeresboden drei Kontinentalplatten aneinander reiben. Der jüngste Vulkanausbruch auf der Insel Faial liegt erst gut 50 Jahre zurück. Auf São Miguel explodierte der Vulkan schon vor knapp 500 Jahren. Geblieben ist der breite Krater, an dessen Ufer bei den Caldeiras nun der Eintopf blubbert. Der See von Furnas ruht sanft zwischen Araukarien-Bäumen und Azaleen. Als wäre nichts gewesen.
Auf einer schmalen Asphaltstraße wandere ich vom See nach Furnas hinauf, durch ein dicht bewachsenes Flusstal. Riesen-Rhabarber winkt mit seinen Blättern, und aus den orangefarbenen Orchideen am Wegesrand könnte ich dicke Sträuße pflücken.
Ein Besuch in Furnas
Furnas ist ein kleiner Thermalort. An jeder Ecke sprudelt heißes Wasser aus Felsspalten und legt einen Dampfschleier über die Ziegeldächer. In der Badeanlage »Poça da Dona Beija« sammelt sich eisenhaltiges Wasser in kleinen Natursteinbecken. Die Besucher stellen Picknickkörbe unter den Baumfarnen ab, räkeln sich auf den heiß umspülten Unterwasserbänken. Auf São Miguel sind die Vulkane unauffällig präsent, wie Hausmeister des Vertrauens, die einem die Arbeit abnehmen. Sie kochen, heizen und wärmen das Badewasser.
Außerdem sind sie für die Landschaft zuständig. Für Kraterseen und geschwungene Hügel. Für die schwarzen Lavaklippen an der Nordküste, wo der Atlantik schäumt, als hätte jemand Waschpulver hineingekippt und wo mir beim Aussteigen ein typisches Azorenstürmchen die Autotür aus der Hand reißt. Kilometerweit ruckele ich mit meinem Mietwagen über schwarz gepflasterte Alleen, an Hortensienhecken und Trockenmauern aus Lavabrocken vorbei. Auf den Weiden dahinter grasen Holsteiner Rinder.
Der Archipel war unbewohnt, als Seefahrer ihn 1427 für die portugiesische Krone entdeckten. Später wurden Festlandsuntertanen gleich dorfweise auf die Inseln umgesiedelt, damit sie Getreide für das Mutterland anbauten. Heute leben rund 250000 Menschen auf den Azoren, zwei Drittel von ihnen auf São Miguel, die meisten wohnen in Ponta Delgada.
Über Mosaikböden der Altstadtgassen
Es ist eine kleine Hauptstadt. Über die Mosaikböden der Altstadtgassen trappelt Feierabendpublikum von der Uhrmacherei zur Kurzwarenhandlung weiter zur Kathedrale. Etwas außerhalb schimmert das »Azor Hotel«, das auf Säulen über der Hafenpromenade schwebt, jede Etage eine nahezu durchlaufende Fensterfront, dahinter glattes Holz, Kupfer und Möbel im Stil der Fünfziger, ein überraschend moderner Tupfer für das altportugiesische Zentrum. »Was Architektur und Design betrifft, haben die Inseln einen gewissen Nachholbedarf«, sagt der Architekt Paulo Lima, den ich zusammen mit seiner Frau Chiara Bettelli in der »Whale Watching Bar« des Hotels treffe.
Dank der EU kam Geld für neue Architektur auf die Insel: für das Besucherzentrum am See von Furnas, dessen kantige, fensterlose Basaltwände sich zu einem vulkanartigen Zeltdach zuspitzen. Oder für das neue Kulturzentrum Arquipélago, eine alte Schnapsfabrik mit glattem Beton, Milchglasfenstern und schweren Eisentoren. Das »Azor« gefällt Paulo und Chiara allerdings nicht – »zu groß für diese Stadt«. Die beiden bevorzugen Architektur, die mit ihrer Umgebung kommuniziert.
Für einen russischen Kunden hat das Architektenpaar bei Rabo de Peixe einen rundum verglasten Container ins Grüne gestellt, in dem nur Betondecke und -boden Grenzen setzen. Azaleen und Palmen wachsen vor den Scheiben, die Lavasteinmäuerchen stehen quasi neben dem Bett, und Azorenlicht strömt bis ins Zahnputzglas. Der Besitzer vermietet den Glaskasten auf Airbnb, und Urlauber reißen sich darum. Sie spüren: Näher als hier können sie der Insel nicht kommen.
Video: Fünf Highlights in Portugal
