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Samtgrün ragt der Kirkjufell in den roten Abendhimmel, den zu meiner Begeisterung auch noch graublaue Wolkenfetzen marmorieren. Die junge Kellnerin im »Bjargarsteinn« aber winkt ab: »Ach, da geht viel mehr. Oft leuchtet der Himmel in allen Schattierungen von Rot, Gelb, Orange und Pink, und es lassen sich bei Nacht schon die ersten Nordlichter blicken.« Es ist Anfang September, und ich sitze auf der Restaurantterrasse im Hafen von Grundarfjörður. Das Städtchen liegt auf Snæfellsnes, einer Halbinsel rund 150 Kilometer nordwestlich von Reykjavík. Warum die Grundarfjörðurer ihren Tafelberg nach einer Kirche benannt haben, verstehe ich erst am nächsten Morgen bei einem Spaziergang: Von seiner schmalen Seite aus betrachtet, erinnert er an eine Zipfelmütze, man könnte auch meinen, an einen Kirchturm. Ich aber sehe an diesem Abend am wilden Nordatlantik ein Schiff, das Kiel oben gestrandet ist. Die Terrasse gehört zu einem hellgrauen, mit Wellblech verkleideten Haus. Es hat 110 Jahre auf dem Buckel und eine typisch isländische Biografie: Zweimal ist es schon umgezogen, weil ein neuer Besitzer es abgebaut und mitgenommen hat. In einem Land, in dem die Menschen ständig Berufe, Familienkonstellationen und Wohnorte wechseln, müssen eben manchmal auch die Häuser umziehen.
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Die Isländer sind »Inbetweenies«, ihr junges Land mit dem faltigen Antlitz liegt zwischen Europa und Amerika, unter der Insel driften die Kontinentalplatten auseinander. »Wir sind ein wenig zerrissen in unserer Identität«, hat mir einmal der Schriftsteller Huldar Breiðfjörð erzählt. Er trägt den Namen des Fjords, an dem ich sitze. Snæfellsnes, seine Heimat, sei Island in klein, hat Huldar geschwärmt, habe alles, was das Land so besonders mache: Wasserfälle, die sich von grünen Bergen stürzen, Schafe, die ihre Mähnen im Wind frisieren, blonde Pferde auf den Weiden, schwarze Strände, kreative Köpfe – und einen berühmten Vulkan: den Snæfellsjökull, den Jules Verne für den Einstieg zum Mittelpunkt der Erde hielt und den ich nun umrunden will. In Rif, einem Küstenörtchen mit sagenhaftem Blick auf den 1446 Meter hohen Gletschervulkan, serviert mir Anna Þóra köstlichen Kuchen.
Eigentlich hat sie geschlossen, als ich an die Tür klopfe, weil sie gerade dabei ist, samt Café ins Nachbarörtchen Hellissandur umzuziehen. Doch sie lässt die Umzugskartons stehen und setzt einen Kaffee auf. Aus dem Fenster blicke ich auf den Snæfellsjökull: Erhaben (und dem Baiser auf Anna Þóras Karamelltorte nicht ganz unähnlich) ruht das weiße Halbrund mitten im Nationalpark, der nach ihm benannt ist und den Westen der Halbinsel umspannt. Als ich ihn kurz darauf durchquere, sehe ich moosbewachsene Felsen, die am Wegesrand stehen wie buckelige Trolle, und Felder aus Lavabrocken, die an riesige Brotkrumen erinnern. Rostrote Krater und Geröllskulpturen lugen aus dem Gestein, das lindgrüne Flechten überziehen. In der Bucht Djúpalónssandur warnen schon am Parkplatz Schilder vor der tückischen Meeresströmung. Hier verunglückte vor 70 Jahren ein englischer Fischtrawler. Seine rostigen Reste heben sich vom tiefschwarzen Strand ab. Hinter dem Surferspot Arnarstapi beginnt die ruhige Südküste. Einsam, aber nicht gottverlassen steht dort Búdarkirkja, die berühmte schwarze Holzkirche mit den weißen Fensterrahmen. Über den Bergen hängen Wölkchen, als hätten Feen in Zuckerwatte gepustet, und ich biege ab Richtung Stykkishólmur.
Die Hafenstadt mit Häusern in Buntstiftfarben ist so etwas wie die Kulturhauptstadt von Snæfellsnes. Für die Library of Water ließ die US-Künstlerin Roni Horn Schmelzwasser von 24 Gletschern in deckenhohe Glaszylinder füllen: Jeder schimmert anders, je nachdem, wie das Licht einfällt und welche Sedimente der Gletscher mit sich führt. In der Gallerí Lundi, einem Handarbeitskollektiv, verkaufen strickende Isländerinnen Pullis, Mützen, Handschuhe und Schmuck – lauter Unikate, alle signiert. Und gegenüber, in dem roten Holzhaus, das einmal ein Kino war, betreibt Haraldur Sigurðsson, 79, sein Vulkanmuseum: Der renommierte Geologe zeigt, was er im Laufe eines langen Forscherlebens gesammelt hat, darunter viel Kunst inklusive eines echten Warhols. Dessen plakativer Vulkanausbruch, ein feuerroter Kegel vor dunklem Himmel, erinnert mich daran, wie farbenfroh die Kellnerin die Sonnenuntergänge am Kirkjufell beschrieben hatte. Es wird Zeit, wieder auf ihre Terrasse zu kommen.
Was Sie auf Snaefellsnes nicht verpassen sollten
Die Halbinsel lässt sich an einem Tag umrunden, besser plant man ein paar Tage länger ein. Die Hafenstädte Stykkishólmur, Ólafsvík und Grundarfjörður eignen sich als Homebase. Die Örtchen Rif und Hellissandur liegen auch an der Nordküste und haben den schönsten Blick auf den Snæfellsjökull.
Borgarnes
Die Stadt liegt auf dem Weg nach Snæfellsnes und ist ideal zum Tanken, Einkaufen, Pausemachen. Im »Geirabakarí Kaffihús« gibt es Suppen, Snacks, köstliche Zimtschnecken und einen fantastischen Fjordblick (www.geirabakari.is).
Snaefellsjökull-Nationalpark
Den Westen umspannt der von Lavafeldern durchzogene Nationalpark, benannt nach dem Gletschervulkan. Vom Saxhóll- Krater blickt man über die zerklüftete Landschaft auf den Vulkan. In Djúpalónssandur führt ein Bohlenweg an die Klippen; hier sank vor 7o Jahren der Fishtrawler »Epine«. Seine rostigen Reste liegen auf dem schwarzen Strand. Inselhighlights und Infos: www.west.is
Grundarfjordur Guesthouse
Neben den beiden rot und grün gestrichenen Holzhäusern im Zentrum gehört auch ein schlichter Neubau am Hafen zum Hostel. Der hat komfortable Zimmer und eine große Wohnküche, von der man den Kirkjufell sieht. www.grundarfjordurguesthouse.com, DZ ab 95 €
Bjargarsteinn
Das Restaurant neben dem Hostel ist im hellen nordischen Landhausstil eingerichtet und hat eine Sonnenuntergangsterrasse mit Blick auf die Breitseite des Hausbergs. www.bjargarsteinn.is
The Freezer
Die Unterkunft hat den Charme einer WG, die es sich mit Flohmarktmöbeln gemütlich macht. Dafür ist in der einstigen Fischfabrik in Rif Platz für ein Kulturzentrum. Zu den Theatervorführungen des Hostel-Chefs Kári Viðarsson reisen Zuschauer sogar aus Reykjavík an. www.thefreezerhostel.com, Bett ab 29 €
Gilbakki-Kaffihús
In Anna Þóras neuem Café in Hellissandur gibt’s neben Kuchen und Torten auch ihre legendäre Fischsuppe. Höskuldarbraut, www.tinyurl.com/gilbakki-kaffihus
Fjöruhúsið
Bistro an den Klippen bei Hellnar, wo ein Küstenwanderweg nach Arnarstapi beginnt.
Library of Water
Die ehemalige Bibliothek in Stykkishólmur stellt die Gletscherkunst von Roni Horn aus, die sie als Mahnmal gegen den Klimawandel versteht. www.tinyurl.com/library-of-water
Norska Húsið
Das frühere Wohnhaus eines reichen Kaufmanns ist noch immer eingerichtet wie im 19. Jahrhundert. Stykkishólmur, www.norskahusid.is
Eldfjallasafn
Fundstücke eines langen Forscherlebens zeigt das Museum des Vulkanologen Haraldur Sigurðsson. www.eldfjallasafn.is
Gallerí Lundi
Das Handarbeitskollektiv liegt gegenüber dem Museum. Stykkishólmur, Aðalgata 4 a