Der Airbus kippt nach rechts und nimmt die Landebahn ins Visier. Mein Sitznachbar kippt auch nach rechts und schaut von oben auf den Atlantik. Er kommt seit 30 Jahren nach Lanzarote und braucht keine App, um das Wetter einzuschätzen, ihm reicht ein Blick auf die Wellen: "Schöne Schaumkronen", sagt er, "ganz schön windig da unten." Nach dem Aufsetzen dreht er sich noch einmal zu mir: "Eine Radtour wollen Sie machen? Viel Spaß, das wird anstrengend!" Als ich mich vom Flughafen auf den Weg zum Fahrradverleih mache, ist das schon wieder vergessen. Lanzarote empfängt mich mit einem Kanaren-Wetter, das man sich als Radsportler wünscht: Sonne, etwas über 20 Grad, blauer Himmel. Genau deswegen habe ich mir vorgenommen, die beiden östlichen Kanaren- Inseln auf dem Rad zu erkunden. Lanzarote und Fuerteventura sind längst nicht so bergig wie der Rest der Kanaren. Die Straßen schlängeln sich wie glatte Asphaltbänder zwischen Vulkankegeln hindurch und nur selten über sie hinweg. Die Lavalandschaften und Wüsten sind karg, aber reizvoll, das Meer ist nie weit entfernt. Ein feines Terrain für eine Radtour, von der ich mir eines erhoffe: entspanntes Training, und das in einer archaisch-faszinierenden Landschaft.
Tag 1: Weiße Häuser, schwarze Erde
Am späten Nachmittag komme ich beim Fahrradverleih in Costa Teguise an. Vor der Tür steht Andreas, mit dem ich die Ausleihe vereinbart habe. Er schraubt an einem Rennrad, das nach Profi aussieht. Es gehört einem Triathleten, der beim anstehenden Ironman Lanzarote antreten wird: rund vier Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Rad fahren, 42 Kilometer laufen. Andreas ist dabei, die Hochprofilfelgen abzubauen: zu viel Angriffsfläche für den Wind, meint er. Ich quetsche mein Gepäck in zwei Fahrradtaschen und schnalle sie an meinem Trekkingrad fest. Ich setze Helm und Sonnenbrille auf und fahre los. Bevor es dunkel wird, will ich in Yaiza sein, vor mir liegen 35 Kilometer. Ich rolle an weiß gekalkten Häusern vorbei, die sich in eine Landschaft aus Schwarz und Anthrazit ducken. Die Vorgärten sehen aus, als hätte man lastwagenweise Pflanzengranulat verschüttet. Die runden Kügelchen sind vulkanischen Ursprungs und hier so normal wie anderswo Sand. Gedrungene Palmen säumen die Landstraße.
Als ich aus dem Windschatten der letzten Häuser fahre, schlägt mir von der Seite eine Böe entgegen. Ich muss gegenlenken, um nicht umzukippen, und runterschalten, um noch vorwärtszukommen. So viel Widerstand bin ich von Luft nicht gewöhnt. Autos bemerke ich erst, wenn sie mich überholen, weil kein Motorengeräusch sie ankündigt. Ich höre nicht, wie mein Herz wummert, nicht einmal, wie schwer ich atme. Das Getöse des Windes schluckt alles. Nach einer guten Stunde erreiche ich San Bartolomé. Plötzlich kann ich wieder hören: Unter meinen Reifen knistert Split, das Hinterrad surrt. Ich fahre durch schmale Gassen, auch hier überall helle, glatte Fassaden, nur die froschgrünen Türen und Fensterläden sind vom gleißenden Weiß abgesetzt. Ein Surfshop, ein Brautmodengeschäft, vor einer Weinbar liegt ein Tank, der mal auf einen Truck montiert war; "Vinos Canarias" ist mit dicken, gelben Pinselstrichen darauf geschrieben. Kurz darauf erklimme ich eine Anhöhe, von der aus ich zum ersten Mal die Südspitze der Insel sehen kann und die glitzernde Meerenge, hinter der Fuerteventura liegt. Die blaue Stunde rückt näher, aber anders als der Tag macht der Wind keine Anstalten abzuflauen. In der Nacht träume ich von Palmen, die sich dem Wind in Richtung Straße beugen. Ihre Wedel greifen nach mir.

Tag 2: Abstecher zum Feuerteufel
Den Frühstückstisch im Bed and Breakfast in Yaiza teile ich mit drei Radfahrern. Wir reden über: Wind. Einer kommt aus Leipzig und erklärt, dass fünf Stundenkilometer Gegenwind einem Prozent Steigung entsprechen. Ich schmiere mir lieber noch ein Nutella-Brot. Ein Spanier aus Barcelona erzählt, dass er gestern eine ziemliche Strecke zurückgelegt habe, ohne ein Mal in die Pedale zu treten: sechs Stundenkilometer, nur mithilfe des Rückenwinds. Ich denke an Werner, meinen Sitznachbarn aus dem Flugzeug. Lanzarote sei spröde, hat er gesagt. Die einen würden es lieben, die anderen hassen. Aber kalt lässt diese Insel niemanden. Zum Timanfaya-Nationalpark lege ich einen Abstecher ein, es geht ein paar Kilometer nach Norden. Ein Schild mit einem hölzernen Teufel markiert den Eingang zu den Feuerbergen – einer Lavalandschaft, die bei Ausbrüchen zwischen 1730 und 1736 entstand. Hier ist Lanzarote besonders karstig und schwarz. Der Asphalt unter meinen Reifen ist so dunkel wie die Ebenen links und rechts, alles Ton in Ton, ein ganz und gar unkitschiger Anblick. Scharfkantiges, ölig glänzendes Geröll überzieht den Boden, hier ein Hügel, dort ein Krater, ein trockener Ast steht im Wind. Man hat Lanzarote oft mit dem Mond verglichen, aber das trifft es nicht. Der Anblick ist ausgesprochen irdisch, ein Freilichtmuseum der Erdgeschichte. Pflanzen wachsen hier nicht, wenn man von krautigen Büschen absieht und blassblauen Flechten auf dem Gestein. Ich bin auf das Grundgerüst einer Landschaft zurückgeworfen, die sich nicht in Wiesen hüllt oder unter Wäldern versteckt.

Am Nachmittag stehe ich in Playa Blanca vor der Fähre an, als einziger Radler zwischen Autofahrern. Als ich an der Reihe bin, rolle ich über die metallene Rampe an Bord und übergebe mein Rad einem breitschultrigen Mann, der es mit einem Gurt festmacht. Auf dem Passagierdeck kaufe ich mir einen Café con Leche und lasse mich in der ersten Sitzreihe fallen. Nach 20 Minuten rückt die Isla de Lobos ins Bild, eine kleine, unbewohnte Insel, die Fuerteventura vorgelagert ist. Dahinter leuchten schon gelb die ausladenden Dünen von Corralejo. Ich parke mein Fahrrad am Hotel Hesperia Bristol Playa in der Nähe des Fähranlegers und laufe Richtung Seepromenade, wo sich ein Fischrestaurant ans andere reiht. Ich studiere mehrsprachige Speisekarten, entscheide mich aber erst für einen Laden, als mir ein eloquenter Kellner zuflüstert, dass das Beste gar nicht auf der Karte stehe: fleischige Dorade direkt vom Kutter, gegrillt mit Olivenöl, Knoblauch und Kräutern, dazu Pellkartoffeln. Ich bestelle einen Weißwein und lausche dem Kellner, wie er die vorbeiflanierenden Touristen bezirzt. Die Treffsicherheit, mit der er Engländer, Deutsche und Niederländer auseinanderhält, finde ich erstaunlich.
Wie es auf Fuerteventura mit dem Rad weitergeht und alle Tipps entlang der Strecke, lesen Sie in GEO SPECIAL Kanarische Inseln.