"Niemandem wäre geholfen, würde Spanien beginnen, seine Überproduktion an Tomaten in notleidende Länder zu verschiffen. Auch wenn diese Forderung stets mitschwingt, wenn Menschen das Tomatina-Festival in der spanischen Provinz Valencia kritisieren. Dort bewerfen sich Einheimische und Touristen jedes Jahr, am Ende der Ernte, mit überreifen Tomaten. In Nigeria haben sich Twitter-Nutzer darüber nun empört, weil dort der Großteil der Tomatenernte auszufallen droht.
Nur: Einen direkten Zusammenhang zwischen Lebensmittelverschwendung in Europa und Hunger in Entwicklungsländern gibt es nicht. Abgesehen davon, dass frische spanische Tomaten auf dem Transport nach Nigeria verderben würden, besteht hier ein grundsätzliches Problem: Je mehr billige Agrarprodukte auf die lokalen Märkte drängen – etwa als Spenden –, desto schwerer fällt es Produzenten vor Ort, eigenes Obst oder Gemüse profitabel zu verkaufen. Solche Exporte zerstören lokale Marktstrukturen.
"Ich finde die Tomatina-Bilder widerwärtig"
Die Empörung der nigerianischen Twitter-Nutzer verstehe ich trotzdem. Als der Zweite Weltkrieg endete, war ich acht Jahre alt. Wie so viele meiner Generation habe ich gehungert und empfinde noch immer eine tiefe Ehrfurcht vor dem Essen. Um es deutlich zu sagen: Ich finde die Tomatina-Bilder widerwärtig.
Die Provinz Valencia ist eine landwirtschaftlich hoch entwickelte Region. Orangen liegen 24 Stunden nach der Ernte bereits in den Supermärkten Nordeuropas. Mit zu Saft oder Konzentrat weiterverarbeiteten Orangen können die Spanier auch entfernte Märkte bedienen. Natürlich funktioniert das ebenso mit Tomaten – es gibt keinen Grund, Tomaten wegzuwerfen.
Die Vernichtung von Nahrungsmitteln weckt tiefe Schuldgefühle in mir. Auch in Deutschland werden jährlich Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, statt sie etwa an Alten- oder Flüchtlingsheime weiterzuleiten.
Doch eigentlich genügt es, sich in die Lage der Menschen in Nigeria zu versetzen, um zu verstehen: Es ist unethisch, sich zum Spaß mit Tomaten zu bewerfen."
Protokoll: Ferdinand Dyck