Affen und andere nichtmenschliche Tiere benutzen Werkzeuge – und haben sogar so etwas wie eine Kultur, in der der Gebrauch von Werkzeugen weitergegeben und -entwickelt wird. Doch während Homo sapiens auf diese Weise heute in der Lage ist, zum Mars zu fliegen, galt lange die Annahme, dass nichtmenschliche Tiere zu einer solchen Weiterentwicklung ihrer Kultur nicht in der Lage seien. Dieser Auffassung widerspricht nun eine Studie eines internationalen Forschungsteams um Cassandra Gunasekaram vom Institut für Evolutionäre Anthropologie der Universität Zürich.
Die Autorinnen verglichen die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Schimpansen-Populationen an 35 verschiedenen Standorten in Afrika und werteten parallel Studien zur räumlichen Verbreitung von Werkzeuggebrauch aus. Dabei unterschieden sie zwischen einfachem Verhalten – etwa dem Gebrauch eines selbst angefertigten Schwamms, um Wasser zu trinken – und komplexeren Verhaltensweisen. Dazu zählen Techniken, bei denen mehrere Werkzeuge nacheinander zum Einsatz kommen. So berichtet die Studie, dass Schimpansen im Kongo zunächst mit einem dicken Stock einen Tunnel durch den harten Boden zum Termitennest graben, um dann mit einem selbst präparierten dünneren Stängel die Insekten herauszuangeln.
Der Abgleich der Verwandtschaftsverhältnisse in und zwischen den Populationen mit den Daten zum Werkzeuggebrauch verblüffte die Forschenden: "Wir haben die überraschende Entdeckung gemacht, dass die komplexesten Technologien der Schimpansen – die Verwendung ganzer Werkzeugsätze – am engsten mit heute weit entfernten Populationen verbunden sind", sagt die Letztautorin Andrea Migliano, Professorin für Evolutionäre Anthropologie an der UZH, in einer Presseerklärung.
Weiblicher Technologietransfer
Verantwortlich für diesen Zusammenhang sind demnach die weiblichen Tiere: Sobald sie geschlechtsreif werden, wandern Schimpansen-Damen in andere Gemeinschaften ab. Auf diese Weise verbreiten sich über Jahrhunderte und Jahrtausende nicht nur Gene zwischen benachbarten oder auch räumlich weiter entfernten Gruppen – sondern auch Techniken: Weibliche Migration bringt kulturelle Erfindungen in Gemeinschaften, die diese zuvor nicht besaßen.
Die Primatenforscherin Jane Goodall hatte schon 1964 beschrieben, wie Schimpansen in Tansania mit einem Stock Termiten aus einem Erdhügel fischten. Und belegte damit, dass der Gebrauch von Werkzeugen keine exklusiv menschliche Fähigkeit ist. Seit Jahren mehren sich die Belege dafür, dass auch die Weitergabe solcher kulturellen Praktiken nicht dem Menschen vorbehalten ist.
Die kulturelle Komplexität bei Schimpansen spiegele frühe menschliche Muster der kulturellen Evolution wider, so die Forschenden. Sie ermögliche Einblicke in die Entwicklung sogenannter kumulativer Kultur bei frühen Homininen. Dabei bauen komplexe sozial erlernte Verhaltensweisen, Technologien oder Wissen auf früher weitergegebenen Innovationen auf. Sie werden über Generationen hinweg angesammelt, verbessert und tradiert. Ein Beispiel dafür ist der Gebrauch der Schrift.