Wald weicht Asphalt, auf Wiesen und Weiden wachsen Hochhäuser, Vogelgezwitscher wird von Motorenlärm verschluckt: Der Mensch hat das Gesicht unseres Planeten verändert – in Windeseile und unwiderruflich. Damit hat er nicht nur seinen eigenen Lebensraum umgestaltet, sondern auch das natürliche Habitat unzähliger anderer Arten, die nun plötzlich nicht mehr in Wäldern oder Wiesen hausen, sondern inmitten menschlicher Siedlungen.
Diese Tiere stehen jetzt vor der Wahl: Evolution in Echtzeit – oder Aussterben. Wer überleben will, muss sich an die rasant ändernden Lebensbedingungen anpassen und die Evolution, die sich normalerweise in Trippelschritten im Laufe vieler Generationen vollzieht, im Schnelldurchlauf abspulen. Streifenhörnchen und Wühlmäusen scheint das zu gelingen, zeigt jetzt eine Studie von Forschenden aus Chicago: Ihre Schädel haben sich in den vergangenen 125 Jahren in Anpassung an das Stadtleben signifikant verändert.
Die Forschenden des Field Museum of Natural History untersuchten dafür die Schädel des Streifen-Backenhörnchen (Tamias striatus) und der Wiesenwühlmaus (Microtus pennsylvanicus), die im Laufe des vergangenen Jahrhunderts im Großraum Chicago gesammelt wurden. Gleichzeitig analysierten sie die fortschreitende Urbanisierung mithilfe von Satellitenaufnahmen.

"Wir haben diese beiden Arten ausgewählt, weil sie unterschiedliche Lebensweisen haben und wir deshalb vermuteten, dass sie unterschiedlich auf den Stress der Urbanisierung reagieren könnten", sagt Co-Autor Anderson Feijó in einer Mitteilung des Museums. Streifenhörnchen leben oberirdisch, sind geschickte Kletterer und ernähren sich von Insekten, Früchten, Samen und Nüssen. Wühlmäuse dagegen verlassen ihre unterirdischen Wohnhöhlen selten und verputzen dort Pflanzensamen, Wurzeln und Gräser.
Ernährungsumstellung führt zu Zahnverlust
Tatsächlich passen sich die beiden Arten unterschiedlich an die städtische Umgebung an. So wurde der Schädel des Streifen-Backenhörnchens im Laufe der Jahre signifikant größer, während gleichzeitig seine Zähne kleiner und die Zahnreihen kürzer wurden. "Wir glauben, dass dies mit der Art ihrer Nahrung zusammenhängt", sagt Feijó. "Sie fressen wahrscheinlich mehr menschliche Nahrung, was sie größer, aber nicht unbedingt gesünder macht." Die geringere Anzahl und Größe ihrer Zähne lässt sich ebenfalls durch die Ernährungsumstellung erklären: Die Tiere nehmen weniger harte Nahrung wie Nüsse und Samen zu sich und sind deshalb weniger auf starke Zähne angewiesen als in ihrem natürlichen Lebensraum.
Die Wiesenwühlmaus passte sich auf andere Weise an: Im Laufe der Zeit verkleinerten sich ihre Gehörgänge und die knöchernen Strukturen des Innenohrs – vermutlich, um den Lärm der Stadt abzudämpfen. Gleichzeitig haben Wühlmäuse aus stark urbanisierten Gebieten flachere Schädel und eine geringere Formenvielfalt. Für diese Veränderung haben die Forschenden bislang allerdings keine Erklärung gefunden.
Dass sich die Nager mit kleinen Veränderungen an das Zusammenleben mit dem Menschen anpassen, ist aber keinesfalls ein Freifahrtschein, die Lebensräume von Wildtieren weiter nach Lust und Laune zu zerstören. Für die Forschenden sind die Ergebnisse vielmehr ein Weckruf: Die evolutionären Adaptionen sind für sie ein Beweis dafür, wie stark der Mensch die Umwelt beeinflusst und wie schwer er es unseren Artgenossen macht, zu überleben.
"Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Eingriffe in die Umwelt nachweisbare Auswirkungen auf die Tierwelt haben", sagt Feijó. Der Wandel, so die Forschenden, finde direkt vor unserer Nase statt – wir sehen ihn normalerweise nur nicht.