Verhaltensforschung Auch Affen leben kulturelle Unterschiede – und beugen sich dem Druck der Gruppe

Grüne Meerkatzen
Grüne Meerkatzen leben in vielschichtigen Gruppen zusammen und pflegen je nach Clan offenbar andere Sitten und Bräuche
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Nicht nur Menschen haben Sitten und Bräuche: Auch im Tierreich gibt es kulturelle Traditionen. Forschende haben nun an Grünen Meerkatzen herausgefunden, dass sich sogar die soziale Atmosphäre zwischen Gruppen unterscheidet. Und dass es einen Trend zu sozialer Konformität gibt

Sitten formen uns: Die individuellen Bräuche, mit denen wir aufwachsen, rufen ein Gefühl von Zugehörigkeit hervor, schaffen Vertrauen, werden Teil unserer Identität. In ihnen spiegelt sich wider, was sich gehört, was erwünscht ist, was man lieber bleiben lassen sollte. Zur Begrüßung die Hand reichen? Sich verbeugen? Mit dem Kopf nicken? Ein Küsschen auf die Wange? In der Vielfalt unserer Gewohnheiten offenbart sich nicht weniger als die Vielfalt menschlicher Kulturen.

Doch nicht nur Homo sapiens zeigt kulturelle Diversität: Auch unter nichtmenschlichen Tieren gibt es eine Fülle erlernter Traditionen. So nutzen Schimpansen – je nach Gruppe – andere Methoden, um nach nahrhaften Ameisen zu angeln. Orcas verständigen sich – je nach Familienverband – mit einem anderen Dialekt. Und auch Elefanten geben ihr individuelles Wissen, ihre Erfahrungen und auch ihre Gewohnheiten innerhalb der Herde weiter.

Nun haben Forscherinnen aus Lausanne und Toulouse untersucht, ob solche Traditionen über Jahre hinweg stabil sind und ob Tiere, die von einer Gruppe in eine andere wechseln, sich den für sie ungewohnten Bräuchen anpassen – sich also kulturell in das neue Milieu einfügen. Dafür nahmen die Wissenschaftlerinnen rund um Elena Kerjean die kulturellen Eigenheiten von Grünen Meerkatzen ins Visier. Die zwischen drei und sieben Kilo schweren Primaten sind in weiten Teilen Afrikas südlich der Sahara heimisch und leben in größeren Gruppen von teils mehreren Dutzend Tieren, mit komplexer Rangordnung. 

Je nach Clan hatten die Affen ein anderes Verständnis von Fairness 

Über neun Jahre hinweg beobachteten die Biologinnen 250 Grüne Meerkatzen aus drei benachbarten Gruppen in einem Wildreservat in KwaZulu Natal, Südafrika. Für ihre Studie analysierten sie nicht weniger als 84.704 soziale Interaktionen – und fanden einen überraschenden Unterschied zwischen den einzelnen Affen-Clans: So herrschte in einer der drei Gruppen, der die Forscherinnen das Namens-Kürzel AK gaben, eine deutlich andere soziale Atmosphäre – eine solche eher softe kulturelle Eigenart wurde bislang kaum bei Tieren untersucht. Den Beobachtungen nach zeigten sich die Meerkatzen aus der AK-Gruppe im Umgang miteinander hilfsbereiter, offenbarten deutlich mehr sogenannte "affiliative Verhaltensweisen" – also solche, aus denen der Wunsch nach Kontaktaufnahme hervorgeht. Und: Unter ihnen herrschten auch andere Gepflogenheiten in punkto Fellpflege.

Meerkatzen
Social grooming bildet eine wichtige Säule im Miteinander von Meerkatzen. Doch ob der Gelauste nach der Fellpflege eine Gegenleistung erbringt, scheint von der jeweiligen Gruppentradition abhängig zu sein
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Während es in den beiden anderen Clans nicht unüblich war, dass ein Affe einen anderen lauste, der allerdings keine Gegenleistung erbrachte, waren die Tiere in der AK-Gruppe viel mehr auf Gegenseitigkeit bedacht. Fellpflege des einen wurde in der Regel mit einem Rollenwechsel – Fellpflege des anderen – beantwortet und damit ein anderes Konzept von Fairness gelebt. Wie Du mir, so ich Dir. 

"Das Ganze lässt sich mit dem Austausch von Massagen zwischen Menschen vergleichen", erklärt Kerjean. "Angenommen, ein Mensch massiert einen anderen hundert Mal im Jahr, bekommt von ihm aber nur zwei Massagen in der gleichen Zeit, dann könnte sich beim ersten das Gefühl einstellen, dass die beiden eine recht unfaire Beziehung pflegen. Genau diese Unterschiede haben wir zwischen den Gruppen beobachtet."

Die Beobachtungen ergaben zudem: Die gruppentypische soziale Atmosphäre war nicht etwa variabel, änderte sich nicht nach ein paar Monaten, sondern blieb über die neun Jahre stabil. 

Mehr noch: Die Forscher fanden auch heraus, dass Männchen, die mitunter von einer Gruppe zu einer anderen überlaufen, ihr Verhalten den neuen Standards anpassen. Gehörten die Kerle ursprünglich der AK-Gruppe an und wechselten zu einem der weniger sozialen Clans, verloren sie mit der Zeit den Hang zur Fairness. Umgekehrt gerierten sich die Männchen aus sozial kühleren Gruppen inmitten der AK-Affen nach kurzer Umgewöhnungsphase deutlich sozialer. 

Wahrscheinlich erzeugen Gruppendruck und der Trend zu sozialer Konformität den Sinnes- und Sittenwandel der Affen. Es ist ein erstes Indiz dafür, dass auch diese kulturellen Kräfte nicht allein auf Menschen beschränkt sind. Sondern auch im Tierreich wirken – und weiter verbreitet sind als bislang gedacht.