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Tierversuche Forscher köpfen Rotkehlchen - wofür eigentlich?

Peter Carstens
In seiner Kolumne "Alles im grünen Bereich" schreibt GEO.de-Umweltredakteur Peter Carstens über das einfache, nachhaltige Leben, über Öko-Sünden, Greenwashing und richtig gute Ideen
© Malte Joost
An der Uni Oldenburg werden seit Jahren Wildvögel für Versuche gefangen und teilweise getötet. Dagegen regt sich Protest. Zu Recht. Ein Kommentar von GEO.de-Redakteur Peter Carstens

+++ Kolumne "Alles im grünen Bereich" +++

Wer Rotkehlchen kennt, kann sie nur mögen. Die knopfäugigen Sänger lassen sich nicht nur nachts hören, sondern sogar im Winter. Selbst eine nasskalt-schmutziggraue Morgendämmerung erhält, mit ihrem Flöten verziert, noch den Zauber eines Spätsommerabends. Seiner Zutraulichkeit wegen nennen die Briten den Vogel gardener's friend. Und erst das Liebeswerben: Wer mal einen Rotkehlchen-Mann bei dem Versuch beobachtet hat, eine Dame zu bezirzen, vergisst das nie. So hingebungsvoll zwitschert der und schwenkt dabei seine geplusterte Brust hin und her.

Blöd für die Rotkehlchen: Sie sind nicht nur zutraulich, sondern auch Zugvögel. Das macht sie für die Forschung interessant. An der Universität Oldenburg forschen Wissenschaftler seit vielen Jahren an Erithacus rubecula und anderen Vogelarten. Sie wollen wissen, wie sich die Tiere mithilfe des Erdmagnetfeldes orientieren. So weit, so legitim.

Allerdings: Für ein einziges Projekt wurden 40 wild lebende Rotkehlchen gefangen, geköpft und seziert. In anderen Versuchen wurden die Tiere zur Hauptzugzeit in einen kleinen Trichter gesetzt und einem starken Magnetfeld ausgesetzt. An den Kratzspuren im Trichter wollten die Wissenschaftler ablesen, wie der Magnetsinn der Tiere beeinflusst wird. Was danach mit den Tieren passierte, ist unbekannt. Bei Experimenten in den Jahren 2016 und 2018 starben 141 Rotkehlchen, 25 Hühner, drei Tauben und drei Steinschmätzer. Da kann man schon mal fragen: wofür eigentlich?

Der Rechtfertigungsdruck vor der Öffentlichkeit ist groß – zu Recht

Jeder Tierexperimentator steht in der Öffentlichkeit unter Rechtfertigungsdruck. In Oldenburg rechtfertigte sich der federführende Forscher damit, die Forschungen kämen auch dem Schutz von Zugvögeln zugute. Und in Deutschland würde jede freilaufende Katze pro Jahr bis zu 50 Vögel erlegen. Die Zahl der getöteten Versuchstiere stehe in einem "ethisch vertretbaren Verhältnis".

Eine Argumentation, die zielstrebig jede Stichhaltigkeit vermeidet. Denn zum einen ist es eben nicht selbstverständlich, dass Leben gegen anderes Leben abgewogen wird (und zwar selbst dann, wenn der behauptete Zusammenhang zwischen Forschung und Artenschutz wirklich existieren sollte). Zudem gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen toten Vögeln im Garten und toten Vögeln im Labor: Eine Katze kann sich nicht entscheiden, ob sie das Tier unter ihren Krallen tötet. Der Mensch schon. Und damit trifft ihn eine besondere Verantwortung.

Die Frage nach der Legitimität von Tierversuchen war nie trivial. Und stellt sich heute mehr denn je. Ihre Beantwortung ist elementar für eine Forschung, die nicht nur wissenschaftlich, sondern auch ethisch auf der Höhe der Zeit sein will.

Rotkehlchen
Objekt der Forscher-Begierde: Rotkehlchen
© Алексей / Colourbox

Wer hinter der Forschung steckt

Übrigens hat Corina Gericke vom Verein Ärzte gegen Tierversuche, der jüngst auch eine Online-Petition zum Thema gestartet hat, eine ganz andere Lesart der Versuche. "Letztendlich", so Gericke, "geht es den Experimentatoren darum, Fachartikel zu veröffentlichen." Und das soll alles sein?

Wohin die Reise wirklich geht, zeigt ein Blick auf die Sponsoren. Darunter die Volkswagen-Stiftung, aber auch das US Air Force Office of Scientific Research und das US-Verteidigungsministerium (Defense Advanced Research Projects Agency, DARPA). Für die Zugvogel-Forschung in Oldenburg hat DARPA zwischen 2010 und 2014 Gelder in Höhe von 1,5 Millionen Euro bereitgestellt. Bei denen muss es eine Menge Natur- und Artenschützer geben.

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