Räuber jagen ihre bevorzugten Beutetiere teils seit Jahrmillionen. Kaum verwunderlich also, dass beide Seiten Strategien entwickelt haben, an Nahrung zu gelangen oder mit dem Leben davonzukommen, je nach Blickrichtung.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist das Jagd- und Fluchtverhalten von Gestreiften Marlinen und Sardinen. Bis zu 80 km/h erreichen die bis zu vier Meter langen Knochenfische bei ihren Attacken. Die Sardinen versuchen sich ihrerseits zu schützen, indem sich die Einzeltiere zu riesigen Schwärmen zusammenschließen, um für die Angreifer "unsichtbar" zu werden. Für den Marlin geht es also darum, möglichst einzelne Tiere zu isolieren und zu verfolgen. Die Sardinen dagegen müssen versuchen, möglichst schnell zu flüchten, gleichzeitig aber zusammen zu bleiben.
In einer Studie hat ein Forschungsteam der Humboldt Universität zu Berlin, des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Universität Cambridge nun untersucht, was genau passiert, wenn ein Marlin einen Sardinenschwarm angreift.
Speerfische und Sardinen verhalten sich wie eingespielte Teams
Für ihre Analyse des Angriffs- und Fluchtverhaltens der Tiere verwendeten die Forschenden Drohnenaufnahmen, die Attacken von Speerfischen vor der Pazifikküste von Mexiko zeigen.
Schon aus früheren Beobachtungen ist bekannt, dass die bis zu 38 Zentimeter langen Fische bei einem Angriff fontänenartig auseinanderstieben – um sich hinter dem Angreifer wieder zusammenzuschließen. Aber weder panisch noch unkoodiniert: Die Sardinen folgen bei ihrer kollektiven Flucht einem Muster.

"Mit Computersimulationen haben wir herausgefunden, dass es einen optimalen Fluchtwinkel von 30 Grad gibt, der auf kollektiver Ebene eben dieses Fontänenmuster erzeugt und die individuellen Überlebenschancen unabhängig von der Angriffsrichtung maximiert", erklärt die Hauptautorin der Studie, Palina Bartashevich. Diese Fluchtregel ist demnach ein Kompromiss zwischen der Maximierung des Abstands vom Räuber und der Minimierung der Zeit, die die Sardine benötigt, um nach einem Angriff zur Gruppe zurückzukehren.
Was dem Einzeltier das Leben rettet, hat für die Gruppe allerdings einen Preis: Denn nach jedem Angriff braucht der Schwarm länger, um sich zu erholen und dem nächsten Angriff wieder kollektiv auszuweichen.
Zudem bleibt die Überlebensstrategie von den Räubern nicht unbeantwortet: indem sie den Schwarm von der Seite angreifen. Mithilfe ihres Computermodells konnten die Forschenden zeigen, "dass der Angriff von der Seite den besten Kompromiss zwischen der Annäherung an die Beute und der Verlängerung der Erholungszeit der gejagten Fische darstellt", wie Palina Bartashevich erklärt.
Die Forschungsergebnisse dokumentieren der Biologin zufolge ein "ständiges Kräftemessen zwischen Räubern und Beutetieren in den Strategien, die sie einsetzen, um ihren eigenen Erfolg auf Kosten des anderen zu verbessern".