Klimakrise Forschende rätseln über unerklärliche Hitze-Hotspots

Auch deutsche Städte haben sich in den vergangenen Sommern immer wieder aufgeheizt wie Treibhäuser – stärker, als von Klimamodellen vorhergesagt
Auch deutsche Städte haben sich in den vergangenen Sommern immer wieder aufgeheizt wie Treibhäuser – stärker, als von Klimamodellen vorhergesagt
© Aitor Diago / Getty Images
Mit dem Klimawandel steigen die Temperaturen. Doch mancherorts sind Hitzewellen so extrem, dass sie sich nicht mit Klimamodellen erklären lassen. Besonders betroffen: Deutschland und seine Nachbarn

Im Sommer 2022 haben Hitze und Dürre Europa fest im Griff: In Großbritannien klettern die Temperaturen erstmals in der Geschichte des Landes auf mehr als 40 Grad, Frankreich ächzt 33 Tage lang unter extremer Hitze und muss die Leistung seiner Atomkraftwerke drosseln, in Deutschland führen die hohen Temperaturen zu einer deutlichen Übersterblichkeit. 61.000 Menschen sterben in diesem Sommer europaweit an den Folgen der Hitze, 772.500 Hektar Wald verbrennen. So dramatisch das ist, so wenig überraschend sind Hitzewellen in Zeiten des Klimawandels zunächst. Mit der Klimakrise steigen die Temperaturen, die Wetterextreme nehmen zu, ein Hitzerekord jagt den nächsten. Doch neben dem allgemeinen Temperaturanstieg gibt es Regionen, die immer wieder von extremen Hitzewellen heimgesucht werden, die weit über das hinausgehen, was Klimamodelle vorhersagen oder gar erklären können. So wie im Nordwesten Europas.

Forschende der Columbia Climate School und des International Institute for Applied Systems Analysis haben nun eine weltweite Karte dieser unerklärlichen Hitze-Hotspots erstellt. Dort haben Hitzewellen in den vergangenen Jahren Ernten verdorren lassen, Wälder verbrannt und Zehntausende Menschen getötet. "Mehrere Rekordwetterereignisse in jüngster Zeit werfen die Frage auf, ob die Klimamodelle geeignet sind, um die beispiellosen Auswirkungen des Klimas auf das menschliche Leben, die Infrastruktur und die Ökosysteme wirksam vorherzusagen und sich darauf vorzubereiten" schreiben die Forschenden in ihrer Studie, die im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) veröffentlicht wurde. "Wir zeigen, dass die extreme Hitze in mehreren Regionen der Welt deutlicher und schneller zunimmt, als es die modernsten Klimamodelle unter der derzeitigen Erwärmung vorhersagen, selbst wenn man ihre regionale Hintergrunderwärmung im Sommer berücksichtigt." Denn steigende globale Temperaturen machen Hitzewellen zwar wahrscheinlicher – die extremen Hitzeausbrüche erklären sie jedoch nicht. 

Tiefrot leuchten die Hitze-Hotspots auf der Weltkarte: Hier waren die Hitzewellen der vergangenen Jahre deutlich stärker als von Klimamodellen vorhergesagt. Die gelben Regionen stimmen mit den Prognosen überein, im grünen und blauen Bereich wurden weniger Hitzeextreme verzeichnet als erwartet
Tiefrot leuchten die Hitze-Hotspots auf der Weltkarte: Hier waren die Hitzewellen der vergangenen Jahre deutlich stärker als von Klimamodellen vorhergesagt. Die gelben Regionen stimmen mit den Prognosen überein, im grünen und blauen Bereich wurden weniger Hitzeextreme verzeichnet als erwartet
© Proceedings of the National Academy of Sciences

Für die Studie untersuchten die Forschenden die Hitzewellen der vergangenen 65 Jahre und verglichen sie mit den Prognosen von Klimamodellen. Anschließend identifizierten sie Regionen, in denen extreme Hitze deutlich schneller zunahm als gemäßigte Temperaturen. "Wir haben es hier mit extremen Trends zu tun, die das Ergebnis physikalischer Wechselwirkungen sind, die wir möglicherweise noch nicht ganz verstehen“, sagt Hauptautor Kai Kornhuber in einer Mitteilung der Columbia Climate School. "Diese Regionen werden zu temporären Treibhäusern". Vor allem in den vergangenen fünf Jahren haben sich solche Hitzeextreme demnach gehäuft.

Am stärksten betroffen ist der Studie zufolge der Nordwesten Europas, insbesondere Frankreich, Großbritannien, Deutschland und die Niederlande. Hier haben sich die heißesten Tage des Jahres in den vergangenen Jahren doppelt so schnell erwärmt wie die durchschnittliche Sommertemperatur. Das Ergebnis: Im Sommer 2022 starben rund 60.000 Menschen an den Folgen der Hitze, im Sommer 2023 waren es rund 47.000. Die Zahl der Todesopfer ist auch deshalb so hoch, weil hier – anders als in den USA, deren Pazifikküste 2021 ebenfalls unter großer Hitze litt – Klimaanlagen bisher nicht notwendig waren und daher traditionell kaum verwendet werden. 

Katastrophale Auswirkungen möglich

Und die Hitzerekorde in Europa gehen weiter: Österreich, Frankreich, Ungarn, Slowenien und Norwegen haben jüngst im September neue Temperaturrekorde aufgestellt. "Tail-widening“ nennen die Forschenden diese überproportionale Zunahme der Extreme nach der Form der Verteilungskurve – in diesem Fall das ungewöhnliche Auftreten von Temperaturen am oberen Ende oder jenseits dessen, was bei einer Verschiebung der mittleren Sommertemperaturen nach oben zu erwarten wäre.

Neben Europa zählen auch andere besonders dicht besiedelte Gebiete wie Zentralchina, Japan, Korea, die Arabische Halbinsel und der Südosten Australiens zu den unerklärbaren Hitze-Hotspots. In anderen Regionen wie dem Inneren Südamerikas, dem nördlichen Zentrum der USA oder großen Teilen Nordafrikas und Sibiriens dagegen steigen die Temperaturen zwar ebenfalls, aber die Extreme nehmen dort mit ähnlicher oder geringerer Geschwindigkeit zu, als es die durchschnittlichen Veränderungen erwarten lassen.

In schlecht isolierten Wohnungen staut sich im Sommer die Hitze. Öffentlich zugängliche Kälteräume sorgen in Frankreich dafür, dass sich die Menschen zumindest ein wenig abkühlen können

Klimawandel Fehlender Hitzeschutz in Städten: "Der Hitzetod ist ein vermeidbarer Tod"

Während andere Länder detaillierte Pläne zum Schutz vor Hitze haben, ist man in Deutschlands vielerorts unvorbereitet. Die Medizinerin Henny Annette Grewe berät Kommunen zum Hitzeschutz und sagt: Bloße Empfehlungen nützen wenig, Informationen gibt es schon genug. Was einzelne Städte bereits gegen die Hitze unternehmen, was andere von ihnen lernen können und wieso die Stadt von heute in Zukunft wenig lebenswert sein wird

Warum sich andere Regionen im Sommer wie Treibhäuser aufheizen, ist unklar, vermutet wird eine Kombination verschiedener Faktoren. Für einzelne Hitzewellen gibt es jedoch Erklärungsversuche. So führte eine frühere Studie Hitzewellen und Dürren in Europa und Russland auf Schwankungen des Jetstreams zurück, der um die Nordhalbkugel kreist. Weil sich die Arktis besonders schnell erwärmt, wird der Luftstrom destabilisiert und bläst warme Luft aus dem Süden in die gemäßigten Breiten. In Kanada hingegen könnten die seit Jahrzehnten steigenden Temperaturen dazu geführt haben, dass die Böden austrocknen und die Pflanzen in Hitzeperioden weniger Wasser verdunsten und so die Umgebung weniger abkühlen. Bei der Hitzewelle von 2021 könnten hier auch kleine atmosphärische Wellen eine Rolle gespielt haben, die Wärme von der Oberfläche des Pazifischen Ozeans nach Osten über das Land transportierten.

Die Ursachen extremer Hitze müssen durch zukünftige Forschung besser verstanden und modelliert werden, schreiben die Forschenden. Gleichzeitig seien die Treibhausgasemissionen rasch zu reduzieren, um "weitere Schäden durch unerwartete Wetterereignisse zu vermeiden". "Diese Hitzewellen sind in der Regel mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen verbunden und können katastrophale Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die Vegetation und die Infrastruktur haben“, so Kornhuber. "Wir sind nicht darauf vorbereitet und können uns möglicherweise nicht schnell genug anpassen.“