Jagd Abschuss von Wölfen soll erleichtert werden – was sagen Experten dazu?

Heulender Wolf
Der Bestand der Wölfe in Deutschland wächst stetig. Nun soll der Abschuss bestimmter Tiere erleichtert werden
© David & Micha Sheldon / mauritius images
Ein aktueller Vorschlag von Umweltbundesministerin Steffi Lemke sieht vor, die Jagd auf Wölfe, die Weidetiere gerissen haben, zu erleichtern. Was sagen Forschende zu dem Entwurf?

Es ist ein Vorschlag zum "guten und konstruktiven Umgang mit dem Wolf", den Bundesumweltministerin Steffi Lemke heute unterbreitet hat. Und er sieht vor, dass die Jagd auf die grauen Beutegreifer in Deutschland künftig leichter möglich sein soll als bisher – dann nämlich, wenn ein Wolf Weidetiere in einer Region gerissen hat.

Nach dem ersten Riss, so sieht es das Konzept vor, darf ein Wolf ohne DNA-Test innerhalb von 21 Tagen im Umkreis von einem Kilometer um den Ort des Risses erlegt werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Wolf einmalig eine wirksame und zumutbare Herdenschutzmaßnahme überwunden hat. Steffi Lemke beschreibt die Maßnahme als erfolgversprechend, schließlich würden Wölfe auf der Suche nach erneuter Beute oft zur entsprechenden Weide zurückkehren. Ein nachgelagerter DNA-Test könne dann zeigen, ob tatsächlich der "schadverursachende“ Wolf getötet wurde.

Die Zahl der Tiere in Deutschland steigt stetig an

Aktuell leben in Deutschland 184 Wolfsrudel, die meisten davon in Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen. Darüber hinaus sind 47 Wolfspaare und 22 sesshafte Einzeltiere nachgewiesen. Sowohl die Zahl der hier lebenden Tiere als auch die Anzahl der besetzten Territorien steigt weiterhin an.

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Mit Blick auf das Anwachsen des Bestandes und mithin auch ein erhöhtes Aufkommen tot aufgefundener und teils illegal getöteter Wölfe, sei politisches Handeln – aus wissenschaftlicher Sicht – nachvollziehbar und angeraten, so Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. "Wir sehen in den aktuellen Vorschlägen der Bundesumweltministerin den Versuch, Arten- und Tierschutz mit wirksamen Maßnahmen zum Weidetierschutz zu vereinbaren, ohne dabei die Rechtslage oder den Schutzstatus des Wolfes antasten zu müssen“, sagt Hofer.

Dürfen auch ganze Rudel abgeschossen werden?

Und doch bleiben aus Sicht des Wissenschaftlers wichtige Fragen offen: Was bedeuten die Vorgaben 21 Tage und 1000 Meter Umkreis konkret? Bedeutet dies, dass innerhalb von drei Wochen alle im Umkreis auftauchenden Wölfe geschossen werden dürfen, also ganze Rudel und zufällig vorbeiziehende Wölfe? Wie wird umgesetzt, dass tatsächlich der ‚Problemwolf‘ getötet wird? "Diese offenen Fragen zielen auf eine Nachschärfung der Vorgaben“, sagt Hofer.

Hofers Kollegin Claudia Szentiks, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Wildtierkrankheiten am IZW ergänzt, dass es unbedingt weiterhin ein gutes Monitoring der Wolfspopulationen in Deutschland geben müsse. Zudem müssten die Untersuchungen der toten Wölfe gestärkt werden, um die Effekte der vorgeschlagenen Maßnahmen eng wissenschaftlich begleiten zu können. So werde es nötig sein, auch von legal getöteten Wölfen Parameter wie Ort, Alter, Geschlecht sowie genetische und gesundheitliche Daten systematisch zu erheben und auszuwerten. Nur so sei etwa gewährleistet, dass Seuchen oder Krankheiten frühzeitig erkannt würden.

Eher verhalten äußert sich Klaus Hackländer, Leiter des Instituts für Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien und Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung. "Der Vorschlag von Frau Lemke ist alles andere als ein großer Wurf oder gar ein Paradigmenwechsel. Er beinhaltet lediglich eine Veränderung des ohnehin nicht rechtsverbindlichen Praxisleitfadens über den Umgang mit dem Wolf,“ sagt Hackländer.

Der Forscher fordert, dass bundesweit festgelegt werde, wie viele dieser Einzelfälle es maximal pro Jahr geben dürfe. Die Zahl solle sich daran orientieren, dass sich der günstige Erhaltungszustand nicht verschlechtere oder aber dessen Erreichung nicht gefährdet sei.

Im November soll ein Beschluss zu dem Vorschlag gefasst werden

Heiner Schumann wiederum, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Wildtierökologie am Institut für Waldökosysteme in Eberswalde, sieht in dem aktuellen Vorschlag einen kleinen Baustein "in einem recht jungen und daher permanent weiterzuentwickelnden, lernenden System.“ Die Erfahrungen aus den Abschüssen, aus Erfolgen wie Misserfolgen werden laut Schumann zeigen, an welchen Stellen das deutsche Wolfsmanagement sich auch zukünftig noch weiterentwickeln und verändern wird.

Ob und wie schnell die anvisierte Maßnahme in die Tat umgesetzt wird, das wird sich im November zeigen. Dann jedenfalls soll die Umweltministerkonferenz der Länder einen Beschluss zu dem Vorschlag fassen, mit dem Ziel, dass die Regelung zur nächsten Weidesaison in Kraft und bereits ab dem 01.01.2024 gültig ist. Laut Lemke ist der Vorschlag eine "praktikable und rechtssichere Lösung, die den strengen Artenschutzvorgaben der EU gerecht” werde. Die Ministerin betont, dass es unerlässlich sei, auf die steigende Zahl von gerissenen Weidetieren zu reagieren. Andernfalls sei die Akzeptanz des Wolfes gefährdet, wobei Lemke betont: "Der Wolf gehört in unsere Landschaft.“

rha / SMC