Nach meiner Erfahrung mit der Arbeit in der Comunidad Shandia habe ich mich schon auf einige sehr anstrengende Wochen in Río Blanco eingestellt und ich sollte Recht bahalten – aber auf eine ganz andere Art und Weise als ich es zuvor vermutet hatte. Das Sprichwort "Andere Länder, andere Sitten" ist hier in Ecuador weitaus kleinräumiger zu verstehen. Hier hat jede Comunidad ihre eigenen Sitten und Gebräuche, was die Arbeit hier ungleich spannender macht. Arbeitete man in Shandia von sieben bis zwölf Uhr, selbstverständlich nur, wenn die Sonne schien, so arbeiten die Leute von Río Blanco etwa so lange, wie es draußen hell ist – bei jedem Wetter.

Keine Mitsprachemöglichkeit

Jeden Morgen wurde geplant, wer mich begleiten sollte und welche Gebiete der Comunidad unter die GPS-Lupe genommen werden sollten. Dabei verstand ich kein Wort, denn die gesamte Unterhaltung wurde in Kichwa geführt, was meine Mitsprachemöglichkeit erheblich einschränkte. Also musste ich mich den Planungen der Comunidad fügen. Innerhalb von nur zwei Tagen erfassten wir die Gemeindegrenzen. Bei der Erfassung der Bodennutzung schafften wir erstaunliche sechs Fincas an einem Tag. Es ging morgens gegen sieben Uhr los. Meist kamen wir erst gegen drei Uhr nachmittags total durchgeschwitzt wieder zurück.
Dabei durchquerten wir die unterschiedlichsten Geländetypen. Etwa die Hälfte des Gemeindegebiets ist Primärwald, der von der Nutzung ausgenommen ist. Auch hat man die Jagd fast aufgegeben. Also war es mitunter, wenn auch selten, möglich, Affen in den Baumwipfeln über sich klettern zu sehen.
Die unberührte Natur Amazoniens erleben
Natürlich hat dieser Schutz der Natur einen Hintergedanken. Die Comunidad besitzt nämlich Cabañas für Touristen, die die unberührte Natur Amazoniens erleben möchten.
Mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit erklommen meine Guides die steilsten und glitschigsten Hügel im dichtesten Unterholz. Ich stolperte und rutschte ihnen weniger elegant hinterher. Die ein oder andere Liane half mir an mancher Stelle den Halt zu wahren. Dabei sollte man aber stets im Auge behalten, an welchen Pflanzen man Halt sucht.

Einige haben unangenehme Stacheln; auf anderen wimmelt es von Ameisen oder Spinnen. Täglich sah ich mindestens eine Vogelspinne. Hatte es mir zunächst davor gegraut, scheine ich mich inzwischen an die andauernde Gegenwart großer Spinnen gewöhnt zu haben. Mir gefallen diese Tiere inzwischen richtig. Was mir im Wald allerdings nicht gefällt, sind die stechenden und beißenden Insekten. Wir schlugen uns an einer sehr dicht bewachsenen Stelle durch das Unterholz, als wir plötzlich von einem Schwarm Wespen umgeben waren. Wir sind deren Nest zu nahe bekommen, was ihnen offensichtlich missfiel, was sie uns schmerzlich quittierten. Ich bin mit zehn Stichen noch einmal glimpflich davongekommen. Einige meiner Begleiter mussten mehr erdulden. Diese Stiche jucken noch immer...

Essgewohnheiten im Regenwald
Nach der anstrengenden Arbeit gab es meist Almuerzo (Mittagessen). Die Ernährungsgewohnheiten der Kichwa sind mitunter etwas gewöhnungsbedürftig. Denn es kann durchaus vorkommen, dass man Reis mit Yuca (Maniok) serviert bekommt, was dann eine etwas trockene Angelegenheit ist. Meistens hingegen bekommt man zum Reis und der obligatorischen Yuca (meist gekocht, aber auch gebraten serviert) noch
anderes gereicht. Oft gab es Palmito oder Chontayuyu, wie es hier heißt.

Chontayuyu besteht aus dem inneren der Chontapalmenkrone (Palmenherz), eine extrem stachelige Palmenart, die zirka zehn Meter hoch wird. Auf unseren Wanderungen musste die ein oder andere Palme als Wegzehrung herhalten, denn man kann Palmito sowohl gekocht, gebraten mit Zwiebeln und Ei, als auch roh essen. Der Geschmack und die Konsistenz erinnert ein wenig an Kohlrabi. Ansonsten gab es meist Bananen in jeglicher Form. Neben Suppen aus Kochbananen bekommt man oft gebratene Bananenchips serviert oder Bananenpüree, was erstaunlich trocken ist.
Eines Abends saß ich in einer Familie mal wieder alleine vor meinem gut gefüllten Teller, als ein Feuerfunken durch das Fenster geflogen kam - jedenfalls sah es aus wie ein Funken. Er flog direkt auf mich zu. Ich duckte mich, was zu Gelächter der Familie führte. Der Funken landete auf dem Tisch und veränderte sofort seine Farbe von leuchtendes orange in gleißendweiß. Es war ein drei Zentimeter großer Leuchtkäfer, der vorne zwei „Scheinwerfer“ besitzt, die erstaunlich hell leuchten. Man erzählte mir, dass man diese Käfer hier „luz del monte – Licht des Waldes“ nennt. Früher nutzte man diese Käfer tatsächlich als eine Art Taschenlampe.