"Weil die Natur lebendig ist, wie die Kinder selbst, sich ständig verändert und mit allen Sinnen wahrgenommen werden kann. Dort haben Mädchen und Jungen ausreichend Platz, um neue Bewegungen auszuprobieren – rückwärtslaufen, klettern, hüpfen, schwimmen. Sie treffen auf Widerstände, an denen sie wachsen können", so der Neurobiologe Gerald Hüther.

TÜV-geprüfte Baumhäuser ersetzen nicht das Abenteuer im Wald
Vor allem in Städten, aber auch in ländlichen Regionen ist zu beobachten, dass sich Kinder immer mehr in Räumen, in angelegten Gärten oder auf TÜV-geprüften Spielplätzen aufhalten. Aber liegt das wahre Abenteuer nicht gerade im Ungeplanten und Unkontrollierten?
Auf Brachflächen, wo ein Baumhain oder ein verwildertes Gelände Raum für spontane Erkundungen bieten, erleben Kinder oft die Art von Spiel, die in strukturierten und gesicherten Umgebungen nur schwer zu finden ist. Zum Beispiel, wenn sie sich aus gesammelten Zweigen und Blättern in der Wildnis ihren eigenen Unterschlupf bauen. Oder wenn sie an einem natürlichen Bachlauf spielen, Lebewesen im Wasser entdecken und den Kreislauf der Natur erleben. Auch ihre Beobachtungsgabe, ihre Kreativität und ihr handwerkliches Geschick schärfen sich dabei.
Noch 1990 gaben in einer deutschen Studie fast drei Viertel der befragten Kinder zwischen sechs und 13 Jahren an, sich täglich im Freien herumzutreiben – 2003 waren es nur noch weniger als die Hälfte. Von 1000 in Großbritannien befragten Sieben- bis Zwölfjährigen antworteten mehr als 50 Prozent, dass es ihnen verboten sei, ohne Aufsicht auf einen Baum zu klettern oder im Park um die Ecke zu spielen.
Die Sorge vieler Eltern vor Verletzungen, Zeckenbissen oder anderen Gefahren lässt Kindern vielerorts wenig Raum für echte Erlebnisse in der Natur. Doch genau diese Erfahrungen sind entscheidend für ihre Entwicklung. "Denn Kinder brauchen wohldosierte Risiken, damit sie üben können, sich in einer potenziell gefährlichen Umwelt zurechtzufinden. Wenn etwa ein Junge auf einem glitschigen Stein ausrutscht, dann hat er vielleicht eine Schramme, aber er wird von nun an wahrscheinlich etwas umsichtiger sein. Diese Selbstsicherheit lernt er nirgendwo besser als draußen, etwa in einem Waldkindergarten. Die Natur ist für Kinder ein idealer Entwicklungsraum", erklärt Hüther.
Sechs Tipps für Erlebnisse in der Natur

Sechs Tipps für Erlebnisse in der Natur
Warum wir die Natur fühlen, schmecken und riechen müssen, um sie zu verstehen
Schon regelmäßige Ausflüge ins Grüne haben erstaunlich positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden und das Verständnis für die Umwelt.

Studien belegen, wenn Kinder Pflanzen nicht nur sehen, sondern auch riechen, fühlen und sogar hören – etwa, wie der Wind durch die Blätter streicht –, entwickeln sie eine Beziehung zur Natur. Solche multisensorischen Erfahrungen können den Grundstein für ein nachhaltiges Umweltbewusstsein bis ins Erwachsenenalter legen.
Auch der gemeinsame Einkauf auf dem Wochenmarkt oder der Anbau von Gemüse im eigenen Garten schärfen das Verständnis für den natürlichen Kreislauf der Jahreszeiten.
Wenn beispielsweise nach der Aussaat von Bohnensamen drei bis vier Wochen später kleine Pflänzchen aus der Erde sprießen und nach weiteren zwei Monaten die ersten erntereifen Schoten an den inzwischen stolz gewachsenen Bohnenpflanzen hängen, erfahren Kinder, wie Lebensmittel entstehen.

Durch die Geduld und Sorgfalt, die sie aufbringen mussten, bis aus einem Samenkorn eine kräftige Pflanze gewachsen ist, lernen sie den Wert der Natur und die Bedeutung von Verantwortung kennen. Aber auch die Freude und den Genuss an natürlichen Lebensmitteln, die nicht immer perfekt aussehen, aber dafür richtig lecker sind und aus dem Garten kommen.
Es gibt viele Möglichkeiten, Kindern ein Bewusstsein für ihre Umwelt zu vermitteln. Wichtig ist, ihnen den Raum zu geben, um die Natur selbstständig zu entdecken, ihre eigenen Erfahrungen zu sammeln und dabei sowohl die Freude als auch die Verantwortung zu spüren, die mit dem Schutz und Erhalt unserer Erde einhergehen.