+++ Kolumne "Alles im grünen Bereich" +++
Manche Probleme haben die unangenehme Eigenschaft, dringlicher zu werden, je länger man sie ignoriert. Der Klimawandel gehört dazu, aber auch die Vernichtung der Artenvielfalt. Zumindest intellektuell scheint man das mittlerweile auch in Berlin verstanden zu haben.
Und weil außerdem Wahlen anstehen, präsentierten nun die Chefinnen der beiden traditionell verfeindeten Ressorts Landwirtschaft und Umwelt, Julia Klöckner (CSU) und Svenja Schulze (SPD) in seltener Eintracht ein „Insektenschutzpaket“. Nachdem Klöckners Vorgänger und Parteifreund Christian Schmidt im Jahr 2017 noch handstreichartig der Verlängerung der EU-Zulassung für das umstrittene Glyphosat zugestimmt hatte, soll das Pflanzengift, das Bienen und anderen Insekten die Lebensgrundlage nimmt, nun schrittweise verboten werden – und ab 2024 ganz.
Doch das ist nicht nur zu spät. Es ist auch zu wenig.
Auch wenn sich die Umweltverbände über „Schritte in die richtige Richtung“ freuen: Nötig gewesen wäre ein Komplettverbot auch anderer insektenschädlicher Pestizide, darunter die ebenfalls umstrittenen Neonicotinoide. Doch die wurden, obwohl EU-weit verboten, jüngst per Notfallzulassung in Deutschland wieder eingeführt. Zudem klammert das Gesetzespaket weitere wichtige Probleme der industriellen Landwirtschaft aus, etwa die viel zu hohen Nährstoffeinträge durch Gülle aus der Massentierproduktion, die nicht nur das Grundwasser belasten, sondern auch die Artenvielfalt dezimieren.
Der dramatische Befund erfordert ein systematisches Umsteuern
Schmetterlinge und andere Insektenarten, deren Bestand von artenreichen Blumenwiesen abhängt, sind in Deutschland zu 70 Prozent gefährdet oder gar vom Aussterben bedroht. Von 560 Wildbienenarten steht die Hälfte auf der Roten Liste. Und mit den Insekten schwinden auch die Feldvögel: Im Vergleich zu 1995 gibt es auf deutschen Feldern heute nur noch ein Zehntel der Rebhühner und Kiebitze – und die Hälfte der Feldlerchen.
Ein bisschen mehr Schutz für Gewässerrandstreifen hier und eine insektenfreundlichere Beleuchtung da: Das Maßnahmenbündel der Bundesregierung wird der Dimension des Artensterbens auf den Feldern nicht ansatzweise gerecht. Es erinnert eher an einen Gartenbesitzer, der in seinem sterilen Schottergarten ein Insektenhotel installiert.
Eine Reform der EU-Subventionspolitik ist überfällig
Dieser Schottergarten – um im Bild zu bleiben – ist auch das Ergebnis einer fehlgeleiteten EU-Landwirtschaftspolitik. Denn das insektenfeindliche Ackern mit hohem Pestizid- und Düngereinsatz und hohen Nährstoffeinträgen wird durch EU-Subventionen großzügig gefördert. Und das ist das eigentliche Problem. Jahrzehntelang duldete die deutsche Landwirtschaftspolitik eine Entwicklung, die erst zum Höfe-, dann zum Bienensterben geführt hat – während das Umweltministerium zähneknirschend zuschaute.
Die Bundesregierung muss sich endlich zu einer echten Agrarwende bekennen und für eine nachhaltige EU-Subventionspolitik einsetzen. Denn solange sich der Schutz von Natur, Landschaft und Artenreichtum für Landwirte nicht rechnet, wird die Industrialisierung des Ackers auf Kosten der Biodiversität weitergehen.