+++ Kolumne "Alles im grünen Bereich" +++
Neulich bekam ich eine E-Mail von Anouk, 11. Klasse. Sie brauche mich als Experten für eine Facharbeit über den Klimawandel. Ich weiß nicht, ob ich ein Experte in Sachen Klima bin, aber ich schreibe ja hin und wieder darüber. Wie schlimm das alles ist, dass zu wenig passiert, und so weiter. Und jetzt diese Mail. Anouk hatte viele Fragen. Eine davon lautete: "Warum wurde nicht schon vor zehn Jahren etwas gemacht?"
Ich stutze. Denn eigentlich ist das genau die Frage, mit der ich mich fast jeden Tag beschäftige. Aber was ist die Antwort, in wenigen, verständlichen Sätzen? Ich wollte schon etwas schreiben wie: "Also, das ist kompliziert. Da sind die Unternehmen, die ihre Produkte verkaufen, Geld verdienen und wachsen wollen. Da sind wir, die shoppen und heizen und reisen und bauen wollen. Da sind aber auch die, die vor dem Klimawandel warnen, Forscher und Umweltbände zum Beispiel. Dann gibt es noch die Medien, die diese Warnungen rauf und runter abnudeln und gleichzeitig die neuesten Automodelle präsentieren. Und dann sind da noch die Politiker, die zwischen allen vermitteln müssen. Die wiedergewählt werden wollen, die Arbeitsplätze erhalten und dafür sorgen wollen, dass die Wirtschaft brummt. Und am Ende passiert eben immer dasselbe: nix.“
Das habe ich natürlich nicht geschrieben. Unter anderem deswegen, weil es vor allem eines ist: eine Ausrede.
Wie stehen wir vor der Zukunft da?
Wir haben alle Informationen, die wir brauchen. Wir wissen, was auf uns (und andere) zukommt. Wir haben die Möglichkeit, sofort zu handeln. Und wir haben nur noch wenige Jahre Zeit, eine gefährliche Erderwärmung um zwei Grad abzuwenden. Trotzdem bleibt praktisch die ganze Gesellschaft untätig. "Warum habt ihr nichts unternommen?" Diese Frage wird uns, die wir in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts geboren wurden, gestellt werden. Der Appell der Umweltschützer, die Zukunft der jungen Generation nicht aufs Spiel zu setzen, wird jetzt plastisch, das Futur II erlebbar. Wir fangen an, uns selbst zu fragen, wie wir in 10, 20 oder 30 Jahren darüber denken werden, was wir 2019 getan oder zugelassen haben. Zum Beispiel, dass Menschen enteignet, Kirchen abgerissen, Dörfer niedergewalzt wurden – nur um extrem klimaschädliche Braunkohle zu verfeuern.
Jetzt meldet sich die Zukunft zu Wort. Ich weiß nicht, ob Anouk auch demonstrieren geht. Aber auf der Homepage Fridays for Future sind Kundgebungen in 55 Städten angekündigt – allein in Deutschland. Schüler lassen sich nicht länger belehren und hinhalten. Sie fangen an, sich einzumischen, werden lauter. Sie protestieren gegen die Klimapolitik der Bundesregierung und das Verheizen ihrer Zukunft. Vielleicht sehen wir hier den Anfang einer Bewegung, die unsere Gesellschaft verändern wird.
Schon heute macht ihr Fragen klar: Ausreden haben wir viele. Aber keine Entschuldigung.