Ob wir lieber ausschlafen oder früh morgens aus dem Bett springen, ob wir täglich joggen oder lieber auf der Couch herumlümmeln – das bestimmt unser innerer Rhythmus. Und nicht nur uns geht das so. Auch unter Borstenwürmern gibt es regelrechte Persönlichkeiten. Das zeigt eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und der Universität Wien.
Zuerst scheint am Borstenwurm Platynereis dumerilii nicht viel Besonderes zu sein: Er ist nur wenige Zentimeter lang und kommt von den Tropen bis zu den gemäßigten Zonen in vielen Küstengewässern vor. Aber er ist gleichzeitig eines der Lieblingstiere der Wissenschaft: Sein Hormonsystem ähnelt dem von Wirbeltieren, er kann Körperteile regenerieren und gilt als lebendes Fossil, an dem sich gut frühe Gene und Zelltypen studieren lassen.
In ihrer Studie wollten die Forschenden herausfinden, wie die innere Uhr des Wurms tickt. "Biologisches Timing ist auf verschiedenen Ebenen wichtig", erklärt Kristin Tessmar-Raible, Biologin am AWI. "Die ökologischen Beziehungen zwischen Arten hängen ebenso davon ab, wie die biochemischen Prozesse in den Zellen." Im Meer verändern sich die Bedingungen über den Tag, etwa die Temperatur, das Licht, das Nährstoffangebot – und die Tiere müssen entsprechend darauf reagieren. Ihr Verhalten, ihr Stoffwechsel und ihre Genaktivitäten sollten an den äußeren Rhythmus angepasst sein.

Trotzdem beobachteten die Forschenden, dass sich die Würmer in derselben Umgebung ganz unterschiedlich verhielten: Die einen krabbelten jede Nacht pünktlich zur selben Zeit herum, die anderen machten nur unregelmäßige Ausflüge. Auch Wochen später zeigten diese Individuen noch dasselbe Verhalten: Aus einer schläfrigen Couch-Potatoe wird also kein Frühaufsteher und andersherum, ganz wie beim Menschen. "Das hat uns sehr überrascht", sagt Tessmar-Raible. "Selbst Würmer sind also sozusagen kleine rhythmische Persönlichkeiten."
Individualität als Evolutionsvorteil
Die Forschergruppe untersuchte aber nicht nur die Verhaltensunterschiede, sondern auch, was dabei in den Köpfen der Würmer passiert. Dazu werteten sie die Genaktivität in den Gehirnstrukturen aus. Mit einem überraschenden Ergebnis: Die innere Uhr funktionierte bei den arrhythmischen Langschläfern genauso gut wie bei den pünktlichen Würmern – sie tickte eben nur anders.
Die Erklärung dafür: Wenn sich Lebewesen derselben Art unterschiedlich verhalten, kann das einen evolutionären Vorteil haben. Denn so bringt eine Art gleich mehrere Strategien mit, um in einer abwechslungsreichen Umgebung zu überleben. An einer Stelle kann der eine, an der nächsten ein anderer Lebensstil erfolgreicher sein. Womöglich hilft die Verhaltensvielfalt den Lebewesen auch dabei, mit menschengemachten Veränderungen zurechtzukommen – etwa durch Lichtverschmutzung oder wärmere Temperaturen im Klimawandel.
Und spannend sind die Ergebnisse auch für den Menschen: Die Chronomedizin erforscht, wie sich Behandlungen auf die individuelle innere Uhr abstimmen lassen. Je besser wir deren Funktionsweise verstehen, desto präziser lassen sich zum Beispiel Medikamente verabreichen.