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Einfache Verhaltesnregeln Wie man im Notfall Ruhe bewahrt und einen klaren Kopf behält

Panikattacke
© nicolasberlin / photocase
In vermeintlicher oder tatsächlicher Gefahr ergreift uns oft Furcht. Doch wir können uns gegen das lähmende Gefühl wappnen. Mit einfachen Techniken können wir der körperlichen Schockreaktion entgegenwirken – und uns in der Not mehr Spielraum verschaffen

Manchmal bricht das Schicksal ganz unerwartet über uns herein: Die Polizei steht mit schlechten Nachrichten vor der Tür, auf der Straße überschlägt sich vor uns ein Auto, der Chef verlangt vor versammelter Mannschaft Rechtfertigung für einen schwerwiegenden Fehler, auf dem Spielplatz ist das eigene Kind plötzlich verschwunden.

Meistens sind es tragische und erschreckende, zuweilen aber auch positive Erlebnisse, die dann unseren Herzschlag und die Atmung beschleunigen, unsere Schweißdrüsen zu übermäßiger Produktion anregen, den Mund austrocknen, die Hände zittern lassen und unsere Fähigkeit zum klaren Denken blockieren.

Niemand ist gegen derart plötzliche Krisen und die damit verbundene große Angst gefeit, selbst besonders selbstbewusste, abgeklärte Menschen werden bisweilen davon überrollt.

Akute Angst tritt aber nicht nur völlig unerwartet auf, bei manchen Berufsgruppen zeigt sie sich sogar besonders häufig. Orchestermusiker plagen sich offenbar derart oft mit Nervosität und Lampenfieber, dass viele vor Auftritten Medikamente einnehmen, um Panikattacken vorzubeugen.

Doch auch vor spontan auftretenden Situationen von lähmender Furcht, sei es durch vermeintliche oder tatsächliche Gefahr, kann man sich wappnen. Jeder vermag sich Techniken anzueignen, die helfen, bei akutem Stress der körperlichen Schockreaktion zu begegnen und angemessen auf sie zu reagieren.

Dazu gehört zunächst, den Ursprung dieser Reaktion zu kennen. Wissenschaftlich gesehen ist sie Teil eines körperlichen Alarmsystems, das unseren Vorfahren im Laufe der Menschheitsgeschichte in gefährlichen Situationen das Leben gerettet hat. Wenn einst etwa ein Bär aus dem Dickicht hervorbrach oder Feinde das Dorf überfielen, blieben genau zwei Möglichkeiten: Kampf oder Flucht.

Für beide wappnet sich der menschliche Organismus. Das Gehirn schaltet gewissermaßen in einen Notfallmodus: Die Hormone Adrenalin und Noradrenalin werden in einer solchen Situation ausgeschüttet, zusätzliche Luft wird in die Lungen gesogen, um das Blut mit mehr Sauerstoff zu versorgen und es rascher zu den Muskeln der Oberarme und Oberschenkel zu pumpen (statt ins Gehirn) – das verleiht uns mehr Kraft.

Jene Funktionen des Körpers hingegen, die bei Gefahr nicht von Nutzen sind – Verdauung, Sexualtrieb, Schmerzempfinden –, werden reduziert oder abgeschaltet, komplexes Denken erschwert. Diese Reaktionen verleihen uns die maximal mögliche Energie, die wir aufwenden können, um uns zu schützen. Für unsere Vorfahren war das über Jahrmillionen hinweg sinnvoll.

Doch wenn heute der Chef eine Erklärung verlangt oder wir in einen Verkehrsunfall verwickelt werden, helfen weder Kampf noch Flucht. Dann wäre eher eine andere Strategie erfolgversprechend, nämlich den Herzschlag beruhigen, das Zittern des Körpers unter Kontrolle bringen, wieder einen Zugang zu rationalen Überlegungen finden. Kurz: Ruhe bewahren.

„Doch genau das ist von der Evolution nicht vorgesehen“, sagt Gerd Reimann, Psychologe und Leiter der Fachgruppe Notfallpsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. „All die körperlichen Prozesse in Stresssituationen laufen unbewusst ab. Sie sind nicht steuerbar.“

Was also tun? Wie gewinnen wir dennoch die Kontrolle über unseren Körper zurück? Wie bewahren wir Ruhe, wenn um uns herum Chaos ausbricht? Je nach Situation bedeutet Ruhe bewahren durchaus Unterschiedliches. Zuweilen ist rasches Handeln nötig, doch manchmal ist eher besonnenes Verharren richtig. Bricht etwa ein Feuer aus, ist es meistens erforderlich, Fenster und Türen zu schließen, nicht mit dem Fahrstuhl oder durchs Treppenhaus zu fliehen.

Stürzt sich jemand auf die Gleise, heißt es für den Lokführer, den Zug zu stoppen, die Unfallstelle zu sichern, Erste-Hilfe-Maßnahmen einzuleiten. Und bei einem Überfall sollte man tun, was der Täter will, und nicht diskutieren, empfehlen Kriminalpsychologen.

Für fast all diese Situationen gilt: Weder Kampf noch Flucht sind die richtige Strategie. „Ruhe bewahren setzt voraus, dass ich weiß, was ich in der jeweiligen Situation tun muss“, sagt Reimann.

Am besten gelingt das jenen, die auf eine akute Stresssituation gut vorbereitet sind. Daher belegen Fahranfänger einen Erste-Hilfe-Kurs, werden Bankmitarbeiter zum richtigen Verhalten bei einem Raubüberfall geschult.

Aber auch wir können uns vorbereiten. Um sich vorab für Zwischenfälle verschiedenster Art zu wappnen, hilft Gerd Reimann zufolge vor allem zweierlei:

1: Handlungsmuster erlernen

Für viele akute Gefahrensituationen existieren bewährte und leicht verständliche Verhaltensregeln. Bei einem Autounfall wird die Unfallstelle gesichert, der Rettungsdienst angefordert, und Erste-Hilfe-Maßnahmen werden begonnen. Ist auf dem Volksfest das Kind verschwunden, sollte man sofort mit Namen nach ihm rufen, Umstehende mit einer Beschreibung des Kindes (Alter, Haarfarbe, Kleidung) um Hilfe bitten, wenn möglich sollte eine Durchsage veranlasst werden.

Wer solche Abläufe verinnerlicht, muss im Notfall nicht improvisieren und fühlt sich weniger hilflos. Daher sollen sich Flugpassagiere auch vor jedem Abflug noch einmal bewusst mit den Sicherheitshinweisen auseinandersetzen, selbst wenn sie die schon kennen.

Für andere Stresssituationen – etwa bei Streitigkeiten – existieren weniger klare Handlungsvorgaben. Hier lernen wir am besten, wenn wir andere Menschen beobachten, die solche Probleme geschickt lösen – wenn beispielsweise ein Kollege vom Chef zur Rede gestellt wird und besonders souverän reagiert: Wie ist derjenige mit dem Konflikt umgegangen, welches Verhalten führte zum Ziel?

„Wer seine Aufmerksamkeit für solche Situationen schult, kann das eigene Wissen fortwährend durch die Beobachtung anderer bereichern“, sagt Reimann. Durch das gedankliche Üben und wiederholte Beobachten bildet sich im besten Fall mit der Zeit ein Fundament von Handlungsalternativen, auf die wir im Notfall zurückgreifen können. Denn sobald wir eine Ahnung haben, was zu tun ist, fühlen wir uns weniger gelähmt.

2: Stärken erkennen

Hilfreich kann es auch sein, sich immer wieder einmal vergangene Ereignisse zu vergegenwärtigen, die einen in Bedrängnis gebracht haben. Habe ich einmal bei einem Referat den Faden verloren und mich mit einem Witz gerettet? Konnte ich eine gewalttätige Auseinandersetzung schlichten oder vielleicht einem anderen Menschen nach einem Unfall helfen?

Jede Herausforderung oder Notsituation, die wir gemeistert haben, stärkt unser Vertrauen in die eigenen Kräfte und unsere Fähigkeiten zur Problemlösung, festigt unser Selbstbewusstsein angesichts neuer Widrigkeiten.

Strategien gegen die Aufregung

Beizeiten verinnerlicht, kann all dies helfen, im Notfall etwas gelassener zu bleiben. Das ist auch deshalb wichtig, weil sich die körperliche Schockreaktion nie völlig unterdrücken lässt. Weitere einfache Techniken können dann zu mehr Souveränität beitragen. Oft hilft es dafür bereits, sich einzelne Sätze leise aufzusagen. Etwa: „Es ist in Ordnung, dass ich gerade aufgeregt bin.“

Wer sich dies verdeutlicht, löst seinen Geist leichter von der lähmenden Konzentration auf den schnellen Herzschlag, den raschen Atem, den Schweiß auf der Haut – und wird fähig zu handeln. Oder: „Ich bin erwachsen, ich bin kompetent, und ich komme mit dieser Situation klar.“

Häufig fühlen wir uns in als bedrohlich empfundenen Situationen kleiner, schwächer, jünger – also inkompetenter –, als wir in Wirklichkeit sind. Dieses Gefühl kann vergehen, wenn wir uns aktiv selbst auf das Gegenteil hinweisen. Und auch: „Ich brauche Zeit.“

Der Psychologe Louis Lewitan sagt: „Nach ein paar Sekunden, in denen wir blockiert sind, haben wir normalerweise wieder einen klaren Kopf.“ Diese Zeit müssen wir uns verschaffen. Stehen wir einem Menschen gegenüber, können dabei auch Sätze helfen wie: „Das ist eine interessante Frage – wie meinen Sie das genau?“ oder die Bitte, die Frage oder Kritik noch einmal zu wiederholen. Ebenso lassen sich ein paar Sekunden gewinnen, indem man seine Überforderung offen zugibt („Ich bin gerade ziemlich aufgeregt, geben Sie mir einen Moment Zeit“).

Wer die Gelegenheit hat, sollte vier Sekunden lang ein- und ausatmen, die ruhige Atmung ein paar Mal wiederholen und dabei ein simples Mantra sprechen, wie etwa „Ich bleibe jetzt ganz gelassen. Ich behalte den Überblick“. Wenn die Panik aufkommt, können aber nicht nur Worte helfen. Wir können auch aktiv unsere körperlichen Reaktionen beeinflussen und so die Selbstbeherrschung zurückgewinnen. Hilfreich wirken kann es zum Beispiel, sich abwechselnd auf den linken und rechten Oberschenkel zu klopfen: Das aktiviert den Hirnbalken, der die linke und rechte Gehirnhälfte verbindet und der unter großem Stress blockiert sein kann.

Wer weniger Zeit hat, sollte die Fingerkuppen aufeinanderpressen, kurz auflachen, die Körperhaltung ändern: Denn oft hilft ein solches Verhalten, den Körper aus seiner Schockreaktion zu holen. Auf diese Weise gewappnet, kann man der nächsten Stresssituation gestärkt entgegentreten.

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