Frau Luczak, wie schmeckt rohes Beluga-Walfett?
Es hat ein unheimlich zartes Aroma, und als unerwartete Note einen Hauch von Kokos und Avocado! Aber man muss sich sehr überwinden, es zu probieren. Als der rohe Klumpen Fett vor mir lag, half nur ein Trick, den ich mir bei anderen Recherchen angewöhnt habe: Egal ob beim Genuss von Schlangen, Termiten oder Walfettwürfeln, ich denke immer an die gesunden Inhaltsstoffe und bete mir diese vor. Omega-3-Fettsäuren sind es beim Walfett. Omega-3-Fettsäuren, Omega-3-Fettsäuren... Die finden sich schließlich auch in Makrelen, meiner Leibspeise. Und dann: einfach schlucken.
Konnten Sie so die Inuit, deren Charme Sie als „kaltspröde“ bezeichnen, für sich erwärmen?
Bestimmt, denn als ich um ein zweites Stück Walfett bat, hat mich Noah Metuq, der Familienvater, zum ersten Mal direkt angeschaut. Blickkontakt – eine große Geste in dieser eher zurückhaltenden Kultur. Einige Minuten später sprach er sogar zu mir. Ich zitiere wörtlich: „Morgen, sieben Uhr, Jagd.“ Welche Ehre! Am nächsten Tag verbrachten wir Stunden auf dem Eis, und Metuq sprach genau ein Wort. Er fragte einen vorbeiziehenden Jäger: „Seehund?“ Dieser antwortete: „Noch nicht.“ Das war alles. Sie können sich vorstellen, dass ich für die vielen Fragen, die ich stellte, mehrfach ermahnt wurde: „Man schweigt und schaut!“ Ohne die etwas offeneren Inuit-Frauen hätte ich wohl nie den Durchbruch geschafft.
Bezeichnen Sie die Recherche in Pangnirtung deshalb als Ihre bisher schwerste?
Nicht nur deshalb. Schon die Anreise war bisweilen qualvoll. In uralten Propellermaschinen flogen wir so nah an Gipfeln vorbei, dass ich ständig eine Kollision befürchtete, und kein einziger der vielen Landungsversuche auf dem winzigen Rollfeld mitten im Ort ging glatt. Immer wieder zogen Wolken auf, und wir mussten plötzlich durchstarten und umkehren, zurück in die Hauptstadt Iqaluit. Das bedeutet eine Stunde Flug.
Und dann?
Nun, als ich nach mehreren Tagen endlich landen konnte, war die Familie Metuq, bei der ich wohnen sollte, nicht da. Sie waren einfach drei Tage und drei Nächte über das Eis gefahren, um in Iqaluit einen neuen Motorschlitten abzuholen. Wenn es um Motorschlitten geht, vergessen die Inuit alles. Also musste ich versuchen, ganz schnell eine andere Familie zu finden, die mir Unterschlupf gewährt. Ich klopfte an viele Türen und blickte nicht selten in grimmige Gesichter. Erst später begriff ich, dass Inuit sehr selten höfliche Floskeln verwenden, kein Danke, kein Tschüss, kein Willkommen – ein uraltes Verhalten in dem wohl lebensfeindlichsten Umfeld der Welt. Kein unnötiges Wort - Energie sparen, wo immer es geht. Und schließlich: Während der Recherche war es unerbittlich kalt.
Dabei sind minus 20 Grad für die Einheimischen fast frühlingshaft warm. Wie konnten Sie überhaupt Notizen machen bei diesen Temperaturen?
Völlig undenkbar. Bleistifte funktionierten zwar, aber sobald ich die dicken Fellhandschuhe auszog, froren mir die Finger ein – obwohl ich noch Fingerlinge trug. Auch mein Diktiergerät gab in der Kälte den Geist auf. Für die Kleidung, die ich mir von erfahrenen Kollegen geliehen hatte, wurde ich von den Inuit nur ausgelacht – viel zu dünn für empfindliche Menschen aus dem Süden, hieß es. Am Ende lieh mir Frau Metuq ihre selbst genähte Fellkleidung für den Hochwinter.
Ihr Text handelt von Menschen, die ein Wort für "Klimawandel erfinden mussten"...
... weil ihre Sprache noch keinen Begriff für diese moderne Bedrohung kannte: silaup asijjipalloaninga.
Hand aufs Herz, war das eben richtig ausgesprochen?
Nein, keine Chance. Bei den jungen Inuit konnte ich aber mit dem einfacheren Ausdruck für Computer punkten: „Qarasauja“. Schon allein weil ich das „r“ besser zu rollen verstand als die meisten Ausländer. Qarasaujaq bedeutet übrigens „etwas wie ein Gehirn“. Diese Menschen sind faszinierend.
Hania Luczaks Reportage „Recht auf Kälte“ ist in GEO Special Kanada erschienen, das seit 30. Juli 2008 im Handel erhältlich ist.