Kurz vor seinem Tod, an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, verlässt der Colorado River den Weg, den er rund sechs Millionen Jahre lang genommen hat, und biegt in Richtung Westen ab. Am Morelos Dam kann man dem Fluss, der den Grand Canyon grub, beim Sterben zusehen.
Von Norden kommt er als geschwungenes Band daher, grün seine Ufer, glatt das Wasser. Nach Süden, nach Mexiko, sind da nur noch ein karges Flussbett und ein trübes Schlammband in einem Kanal. Er führt in das Tal von Mexicali, um dort Felder voller Babyspinat zu bewässern.
Den Pazifischen Ozean, rund 100 Kilometer weiter südlich, erreicht der Colorado River seit 1998 nur noch bei starkem Hochwasser.
Es ist das traurige Ende eines der wildesten Flüsse Amerikas, dem der Mensch seinen Willen aufzwang, ihn anzapfte, staute, in Kanäle einsperrte. So-dass der Colorado River, nachdem er 40 Millionen Menschen, zehn Millionen Kühe, Felder in Arizona und Kalifornien, Ölbohr- und Fracking-Unternehmen versorgt hat, schließlich nur noch seiner Auflösung entgegenströmt.
Auf seinem rund 2330 Kilometer langen Weg von der kühlen Quelle in den Rocky Mountains bis zur trockenen Mündung im Golf von Kalifornien, durch Feuchtgebiete, Canyons und Wüsten, führt der Colorado River viele Leben. Er erfährt Respekt, Ausbeutung, Liebe, Pragmatismus, selten Gleichgültigkeit. Für eine Cocopah-Schamanin ist er ein heiliger Ort, für einen Cowboy eine überlebensnotwendige Schönheit. Eine perfekt gezähmte Wildheit für einen Staudamm-Manager und ein Ort der Versöhnung für eine ganze Stadt.
Und obwohl jeder seiner Tropfen, bis er am Morelos Dam ankommt, mehr als ein Dutzend Mal genutzt wird, scheint sein Wasser stets knapp zu sein. Seit die ersten Siedler vor mehr als 150 Jahren an den Ufern ihre Claims absteckten, wird Reichtum hier nicht nur in Dollar, sondern auch in Wasserrechten gemessen. Oder, wie der Farmer Bill Trampe sagt, der am Oberlauf des Colorado lebt: „Whiskey ist zum Trinken da. Das Wasser, um darum zu kämpfen.“
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