Anzeige
Anzeige

Fitness fürs Gehirn Meditation: Welche Übungen wirken am besten gegen Stress?

Meditation
Achtsamkeit und Mitgefühl, Konzentration und Körperwahrnehmung lassen sich lernen – das zeigt die weltweit größte Meditationsstudie, das Leipziger Projekt "ReSource".
© fizkes / Fotolia
Wie verändert Meditation unser Denken und Fühlen? Was hilft gegen Stress? Mit der ReSource-Studie hat die Neurowissenschaftlerin Tania Singer überraschende Antworten gefunden

Auf dieses Interview mit Tania Singer, Leiterin des ReSource-Projekts, haben wir drei Jahre gewartet. Jetzt liegen erste zentrale Ergebnisse vor. Singer bittet in das Haus 5 auf dem Gelände der Berliner Charité: ein kleiner alter Backsteinbau, eigens für die Studie renoviert. Am Eingang stapeln sich Pantoffeln für Meditationsteilnehmer, an den Wänden hängen Himalaya-Bilder, fotografiert von dem berühmten buddhistischen Mönch Matthieu Ricard. Tania Singer kommt 20 Minuten zu spät, ihr Smartphone meldet ständig neue Nachrichten. Konzentrieren kann sie sich trotzdem.

GEO Magazin Nr. 02/2018
© Geo

Mehr im Heft: Die Kraft der Meditation

Lesen Sie in GEO 02/2018 das komplette Interview mit Tania Singer. Außerdem im Heft: Die Reportage von Philipp Brandstädter. Der GEO-Reporter war einer der Teilnehmer der weltweit größten Studie zur Medition – er berichtet von einer neun Monate währenden Reise durch sein Inneres.

Das ReSource-Projekt ist die größte Meditationsstudie, die es bisher gegeben hat. Sie untersuchen darin nicht nur klassische Meditationsformen, sondern haben eigens neue mentale Trainingstechniken und Forschungsinstrumente entwickelt. Warum dieser Aufwand?

Viele der bisherigen Studien sind recht kurz oder haben methodische Schwächen. Am besten erforscht ist das achtwöchige Meditationsprogramm MBSR (Mindfulness-based Stress Reduction). Bei dieser „Stressreduktion durch Achtsamkeit“ geht es vor allem um das Selbst: Wie kann ich ruhiger werden, im Moment ankommen, meine Aufmerksamkeit schulen? Das Programm besteht aus verschiedenen Arten der Meditation. Was davon wie wirkt, war allerdings nicht klar. In der ReSource-Studie haben wir daher erstmals verschiedene mentale Techniken miteinander verglichen. Wir wollten herausfinden, wie sich neben der Achtsamkeit auch Mitgefühl und Perspektivübernahme am besten schulen lassen – also Basisfähigkeiten sozialer Intelligenz. Deshalb haben wir für jeden dieser drei Bereiche ein eigenes Modul entwickelt: „Präsenz“ zielt auf Achtsamkeit, „Affekt“ auf sozio-emotionale Kompetenzen wie Mitgefühl, Dankbarkeit und den Umgang mit schwierigen Emotionen, „Perspektive“ auf sozio-kognitive Fähigkeiten wie sich in andere hineinzudenken. Wir sprechen dabei von Perspektivenwechsel. Diese dreimonatigen Übungsblöcke wurden von unseren Studienteilnehmern in unterschiedlicher Reihenfolge absolviert. Ein bisschen wie im Fitnesscenter: Alle trainieren etwas, aber die einen erst ihre Beine, die anderen den Rücken. So können wir die Wirkung der einzelnen Trainingsarten vergleichen – statt einfach pauschal zu sagen, „Sport ist gesund“ oder „Meditation hilft“. Diese Dreifaltigkeit des ReSource-Projekts ist einzigartig – und dazu braucht man große Teilnehmerzahlen und ein aufwendiges Projektdesign.

Andere Meditationsstudien dauern in der Regel acht Wochen und erfassen zu jeder Person nur wenige Daten. Und schon dabei springt oft die Hälfte der Teilnehmer ab. Bei Ihnen mussten 241 Anfänger neun Monate lang meditieren und Dutzende Tests über sich ergehen lassen. Wie viele haben durchgehalten?

Wir hatten weniger als acht Prozent Dropout – das ist vermutlich ein Guinnessbuch-Rekord! Und zu jeder Person haben wir rund 90 Maße erhoben, von der Genetik über Hormonwerte, Hirnscans, Verhaltenstests bis hin zu Fragebögen und qualitativen Interviews. Diese Vielfalt erlaubt ganz neue Verbindungsmöglichkeiten: Wie etwa verändern sich durch bestimmte Übungen zugleich Gehirn, Gesundheit und Glücksempfinden?

Was genau wurde trainiert?

Das erste Modul, „Präsenz“, schult Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Körpergewahrsein und besteht aus den Kernübungen der Achtsamkeitsmeditationen: Atemmeditation und Bodyscan, also die Konzentration auf den Körper. Eine andere klassische Technik, die Meditation zur liebevollen Güte, findet sich bei uns als „Herzmeditation“ in dem Modul „Affekt“ wieder. Darin schulen die Teilnehmer ihr Mitgefühl und lernen, liebevolle Güte für sich selbst und andere zu entwickeln. Im Modul „Perspektive“ schließlich geht es darum, zu erkennen, aus welchen Rollen heraus wir handeln, und sich in andere Menschen hineinzuversetzen.


Ergibt es denn tatsächlich einen Unterschied, was ich meditiere?

Ja! Ähnlich wie es auch beim Sport darauf ankommt, welche Muskeln ich trainiere. Unsere Studie zeigt, dass die Module tatsächlich jeweils andere Stärken haben, also verschiedene Fähigkeiten selektiv verbessern. In manchen Bereichen finden wir allerdings keine Unterschiede, etwa beim Körpergewahrsein. Das wird von Monat zu Monat besser, egal was man gerade trainiert, denn jede Kontemplation fängt mit einer Besinnung auf den Körper an. Auch die Konzentrationsfähigkeit hat sich nicht nur nach dem Modul „Präsenz“ deutlich gesteigert, sondern ebenso nach dem Mitgefühlsmodul „Affekt“. Schließlich geht es in beiden Modulen darum, die Aufmerksamkeit zu fokussieren – mal auf Atmung und Körper, mal auf Gefühle und Gedanken.

Welche Übungen wirken denn am besten gegen Stress?

Wir haben unterschiedliche Formen von Stress untersucht, darunter den sozialen. Diese Daten haben wir kürzlich publiziert. Unter sozialem Stress leiden in unserer modernen Gesellschaft viele am stärksten: Wir fürchten heute kaum noch Hunger und Kälte, sondern vor allem, von anderen kritisiert zu werden und ihren Anforderungen nicht zu genügen. Um diese soziale Stressreaktion zu testen, mussten unsere Teilnehmer vor streng blickenden Prüfern einen Bewerbungsvortrag halten und rückwärts rechnen. Diejenigen, die zuvor drei Monate meditiert hatten – und zwar ganz egal, was –, fühlten sich dabei weniger gestresst als die Teilnehmer einer Kontrollgruppe, die gar nicht meditiert hatten. Das war zumindest ihre subjektive Einschätzung in Fragebögen – und uns aus der MBSR-Forschung bereits bekannt. Wir wollten jedoch auch wissen, ob sich das ebenso in der biologischen Stressreaktion niederschlägt. Dazu haben wir vor und nach der Prüfung im Blut das Stresshormon Cortisol gemessen, einen der bekanntesten Marker für eine soziale Stressreaktion. Bei jenen, die zuvor in den sozialen Modulen „Affekt“ oder „Perspektive“ Mitgefühl oder Perspektivenwechsel trainiert hatten, war die hormonelle Stressreaktion im Vergleich zur Kontrollgruppe tatsächlich um rund 50 Prozent niedriger. Aber bei denen, die gerade das Modul „Präsenz“, also Atemmeditation und Bodyscan, hinter sich hatten, war sie unverändert hoch. Das hat uns sehr überrascht.

Gerade diese Achtsamkeitsübungen gelten doch als gutes Antistressmittel. Warum nicht bei sozialem Stress?

Bei achtsamkeitsbasierten Aufmerksamkeitsübungen konzentrieren sich Teilnehmer nur auf sich selbst. Das ist offenbar nicht wirklich effizient, um sozialen Stress zu reduzieren. Dagegen gehört zu den beiden anderen sozialen Modulen auch ein Training zu zweit, das wir „kontemplative Dyade“ nennen. Dabei meditiert ein Partner über eine bestimmte Frage und teilt dem anderen sehr Persönliches mit. Der hört empathisch zu, ohne zu unterbrechen, ohne zu werten. Nach fünf Minuten wird getauscht. Die Teilnehmer entblößen sich also vor jemandem, der sie beurteilen könnte, und üben zugleich urteilsfreies Zuhören. Und das täglich über Monate. Ich vermute, dass sie das ein Stück weit gegen sozialen Stress immunisiert. Bei unserem Test sehen sie dann nicht nur den kritischen Prüfer im Kittel, sondern einen Menschen wie dich und mich.

Tipps: Meditieren lernen

Das ReSource-Training gibt es bisher nicht als Kurs. Anbieter für Stressbewältigung durch Achtsamkeit (MBSR) und Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT) finden sich beim MBSR-MBCT-Verband (www.mbsr-verband.de), Übungen und Informationen zu Mitgefühl in einem kostenlosen E-Book von Tania Singer (www.compassion-training.org). Einen seriösen Einstieg in die Achtsamkeitsmeditation bieten auch die AppsBalloon (deutsch) und Headspace (englisch).

Tania Singer, 48, hat 2010 als bis dahin jüngste Max-Planck-Direktorin die Abteilung „Soziale Neurowissenschaft“ am MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig gegründet. Angetrieben von der Frage, ob sich Mitgefühl trainieren lässt, brachte sie früh Forschung und Meditation zusammen. Mit dem Dalai Lama tauscht sich Singer genauso aus wie mit führenden Ökonomen. Ihr Ziel: eine von mehr Mitgefühl geprägte Wirtschaft und Gesellschaft.​

GEO Nr. 02/2018 - Die Kraft der Meditation

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel