Angriffslustig, brutal, kampferprobt – so stellen wir uns Wikingergesellschaften vor. Doch welche Rolle spielten gewaltsame Konflikte in den Gemeinschaften der Nordmänner wirklich? Ein internationales Forschungsteam hat die Gewaltkultur der Wikinger in Norwegen und Dänemark verglichen und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Zwischenmenschliche Gewalt war in Norwegen deutlich stärker ausgeprägt als bei den südlichen Nachbarn. "Je steiler die soziale Pyramide, desto niedriger das Ausmaß der Gewalt", schreiben die Forschenden in ihrer Studie, die jüngst in der Fachzeitschrift "Journal of Anthropological Archaeology" erschien – und neue Einblicke in die Zeit der Wikinger liefert.
Für ihre Untersuchung analysierten und verglichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um den Archäologen Jan Bill zunächst menschliche Überreste aus dem 9. und 10. Jahrhundert auf dem heutigen Gebiet Norwegens und Dänemarks: Danach weisen 60 Prozent der norwegischen Skelette Verletzungen auf, die durch Waffengewalt verursacht wurden. Gut ein Drittel der untersuchten Personen kam sogar gewaltsam zu Tode – durch Messer oder andere Waffen. Gewalt war demnach fester Bestandteil jener Gesellschaften.
Wikinger-Hinrichtungen liefen standardisiert ab
Anders in Dänemark: Zwar konnte man auch dort an Skeletten Gewalteinwirkung nachweisen – aber nur bei sechs Prozent der Gebeine. In Dänemark starben damals auch deutlich weniger Menschen einen gewaltsamen Tod, und diese vornehmlich durch Hinrichtungen, sie wurden enthauptet oder gehängt. Diese Exekutionen müssen, so schreibt das Team um Jan Bill, durch eine Obrigkeit offiziell angeordnet worden sein – und liefen offensichtlich standardisiert ab.
Zwar ist die Studien-Stichprobe nicht groß, insgesamt analysierten die Forschenden nur 112 Skelette. Die Unterschiede zwischen der norwegischen und der dänischen Stichprobe seien jedoch so auffällig, so das Team, dass sich durchaus generelle Rückschlüsse ziehen lassen.
Die Forschenden erhoben zudem anhand von Museumsdatenbanken , wie verbreitet Schwerter als Grabbeigaben waren: In Norwegen konnten sie mehr 3000 Schwerter nachweisen, in Dänemark nur 30. Das Team um Jan Bill sieht darin einen "Hinweis darauf, dass das Tragen von Waffen in Norwegen ein wichtigerer Teil der Identität war als in Dänemark". Die Ergebnisse der Skelettuntersuchungen und die verbreitete Tradition von Schwertern als Grabbeigaben "deuten darauf hin, dass zwischenmenschliche Gewalt in Norwegen weiterverbreitet war als in Dänemark, und zwar sowohl als latente Bedrohung als auch in der Realität."
Die Ursachen dafür sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem in unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen, in denen die Wikinger jeweils lebten: In Dänemark hatte sich damals schon eine komplexe soziale Hierarchie entwickelt. Das belegen Runensteine, auf denen Titel wie "Lord", "Lady" oder "König" aufgeführt sind – und die eine gesellschaftliche Hierarchie belegen.
Die Machtelite ordnete den Alltag der Menschen
Außerdem sind in Dänemark zahlreiche monumentale Verteidigungsanlagen wie Wälle und Mauern nachgewiesen, die ebenfalls auf eine steuernde Obrigkeit schließen lassen. So ließ der berühmte Wikingerkönig Harald Blauzahn im 10. Jahrhundert mehrere Ringburgen anlegen, die seit 2023 zum UNESCO-Welterbe zählen. Im Gegensatz dazu, so schreiben die Forschenden um Jan Bill, enthielten die Runensteine in Norwegen keinerlei Hinweise auf soziale Hierarchien. Auch Belege für monumentale Bauten gebe es kaum.
Die Schlussfolgerung der Studie: In der komplexen Wikingergesellschaft Dänemarks habe eine Machtelite als zentrale Autorität den Alltag der Menschen geordnet, damit das soziale, wirtschaftliche und bürgerliche Leben geprägt – und zwischenmenschliche Gewalthandlungen eingehegt.