GEO: "Menschen wollen Frieden", lautet eine der Thesen in Ihrem neuen Buch "Die Evolution der Gewalt". Widerspricht unsere Gegenwart mit ihren furchtbaren Kriegen nicht Ihrer Theorie?
Prof. Harald Meller: Nein. 99 Prozent der Menschheitsgeschichte sind wir ohne Kriege ausgekommen. Vor rund 2,5 Millionen Jahren hat der Homo erectus die Weltbühne betreten, seit 300.000 Jahren gibt es uns Homo sapiens, systematisch geführte Kriege lassen sich aber kaum mehr als 5000 Jahre in die Vergangenheit zurückführen. Über Hunderttausende Jahre hinweg haben Menschen vergleichsweise friedlich zusammengelebt.
Dieser historische Befund ändert doch aber nichts an der Tatsache, dass Menschen heute in verschiedenen Teilen der Welt Krieg führen.
Aber nicht, weil wir es wollen. Wenn Sie jemandem eine Waffe in die Hand drücken, würde kaum ein gesunder Mensch sagen: "Ich will Krieg und möchte andere überfallen und töten." Kriege funktionieren nur, wenn Bürger durch Manipulationen zum Kämpfen gebracht werden. Dazu inszenieren Herrschaftsapparate Konflikte in der Regel als Verteidigungskriege: Sie reden den Staatsangehörigen ein, sie müssten ihre Heimat verteidigen, wie derzeit in Russland zu sehen. Ohne Lügen würden Kriege nicht funktionieren und würde niemand ins Feld ziehen. Im Grunde seines Wesens ist der Mensch ein friedlicher Affe – und das macht Kriege zu einem Skandal.