Für 30 Millionen Euro versteigert Wer ist Fräulein Lieser? Die Geschichte hinter Klimts Rekordgemälde

Seit Januar war "Fräulein Lieser" im Auktionshaus Kinsky in Wien zu sehen, bald tritt eins von Gustav Klimts letzten Gemälden wohl die Reise nach Asien an. Doch welche von drei jungen Cousinen ist auf dem Bild zu sehen?  
Seit Januar war "Fräulein Lieser" im Auktionshaus Kinsky in Wien zu sehen, bald tritt eins von Gustav Klimts letzten Gemälden wohl die Reise nach Asien an. Doch welche von drei jungen Cousinen ist auf dem Bild zu sehen?  
© EVA MANHART / APA / picturedesk.com / picture alliance
Seit gestern ist klar: Ein lange verschollenes Gemälde des österreichischen Malers Gustav Klimt geht nach Asien, für 30 Millionen Euro. Doch bleiben Rätsel um das nie vollendete Porträt. Vor allem eines: Wer ist die junge Frau auf dem Bild?

Neunmal macht sich die junge Wienerin auf den Weg in Gustav Klimts Atelierwohnung in der Westbahnstraße 36, zum ersten Mal 1917. Sie steht dem gefeierten Maler Porträt, und er hält ihre dunklen Locken fest, ihr Gesicht mit dem leichten Lächeln, den rosigen Wangen. Ihr offenes Gewand schmückt Klimt über und über mit Blumen, typisch für seine Frauenbilder. Der Hintergrund aber bleibt orangefarben unausgearbeitet, und auch seinen Namen setzt der Künstler nicht auf das Porträt des "Fräulein Lieser": Am 11. Januar 1918 erleidet der 55-Jährige Maler einen Schlaganfall und stirbt einige Wochen später im Krankenhaus, eines der Opfer der Spanischen Grippe.

In den 1920er Jahren macht jemand ein Schwarz-Weiß-Foto des Porträts. Dann verliert sich seine Spur viele Jahrzehnte lang. Bis es im Januar 2024 wieder auftaucht: Im Katalog des Wiener Auktionshauses Kinsky. Wo war das Bild? Und, noch wichtiger: Wer war Fräulein Lieser?

Fräulein Lieser ist eine junge Wiener Jüdin - aber welche?

Sicher ist: Die junge Frau, die Klimt in den letzten Jahren des Ersten Weltkriegs Porträt steht, stammt aus einer wohlhabenden jüdischen Familie: Justus und Adolf Lieser, Brüder aus Deutschland, haben es in Wien als Textilindustrielle zu Wohlstand gebracht. Lange gingen Kunsthistoriker davon aus, dass Klimts Werk Margarethe Constanze Lieser zeigt, Adolfs Tochter - sie wäre beim Atelierbesuch 18 Jahre alt gewesen.

Das Auktionshaus und Recherchen des österreischischen Standard aber legen eine andere Antwort nahe: Fräulein Lieser wäre demnach eine von Margarethes Cousinen gewesen, Helene oder Annie. Und der Auftraggeber nicht Adolf, sondern Justus' geschiedene Frau, Henriette Amalie Lieser, genannt Lilly. Sie war eine Mäzenin der Wiener Kunstszene, förderte unter anderem den Komponisten Arnold Schönberg und war mit Alma Mahler befreundet - die wiederum als 17-Jährige von Gustav Klimt umworben worden war.

»Der Kuss« von 1908. In die Aura glänzenden Goldes gehüllt, erlebt ein Liebespaar einen Augenblick kosmischer Innigkeit – ein entrücktes Traumbild in Klimts Œuvre, das aber auch reich an Albträumen ist

­Malerei Kunstrebell Gustav Klimt: Der Herr der Triebe

Um 1900 drängt Wiens ambitioniertes Bürgertum die alte Kaiserstadt in die Moderne. Künstler brechen mit den Werten und Tugenden ihrer Väter sowie den ästhetischen Leitsätzen ihrer Lehrer und entwickeln eine eigene Spielart des vorherrschenden Jugendstils: exzessiv, psychologisch getrieben, von wilden Urkräften durch­drungen. Ihr rebellischer Zere­monien­meister ist Gustav Klimt

"1925 in Besitz von Frau Lieser, IV. Argentinierstr. 20" stand auf dem Umschlag, in dem das Negativ des Schwarz-Weiß-Fotos steckte, die Adresse von Lilly Lieser. Sie wurde nach dem "Anschluss" Österreichs enteignet, ihr Vermögen "arisiert". Vier Jahre lang musste Lilly Lieser als Jüdin in Wien überleben, und vielleicht musste sie in dieser Zeit das Bild ihrer Tochter gegen Lebensmittel eintauschen. Darauf deuten zumindest die Recherchen des Standard hin: Ihr Diener war ein Schwager des Delikatessenhändlers Adolf Hagenauer - in dessen Besitz sich das Portät nach dem Krieg offenbar befand.

Fräulein Liesers Mutter oder Tante wird in Auschwitz ermordet

Lilly Lieser wurde 1942 nach Riga deportiert und im November 1943 in Auschwitz ermordet. Ihre Töchter und ihre Nichte Margarethe überlebten den Holocaust. "Die Tatsache, dass das Bild aus jüdischem Besitz stammt und dass seine Besitzerin in den Gaskammern umgekommen ist, scheidet für den rechtlich und moralisch Denkenden die Möglichkeit aus, das Bild zu veräußern oder dem Vermögen der Familie einzugliedern," schrieb ein Wiener Museumsdirektor an einen Bekannten der Familie Hagenauer. Ein weiterer Hinweis auf die Identität des Fräulein Lieser: Maragarethes Mutter war bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gestorben.

Die 30 Millionen Euro, die ein Unternehmen aus Hongkong im Auftrag eines Klienten für das Porträt gezahlt hat, sind ein Rekord: Noch nie ist ein Kunstwerk in Österreich für eine so hohe Summe versteigert worden. Der Erlös wird neben den unbekannten Verkäufern den Nachfahren der Familie Lieser zugutekommen - unabhängig davon, welche der drei Cousinen das "Fräulein Lieser" war.

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