Antivenom Forschenden ist ein Durchbruch bei universellem Mittel gegen Schlangengifte gelungen

Walter Willems, dpa
Eine kobraartige Schlange vor schwarzem Hintergrund schaut züngelnd den Fotografen an
Forschende entwickelten einen breit neutralisierenden Antikörper, der im Tierversuch vor den Toxinen von Schlangen aus der Familie der Giftnattern schützt
© Simon Townsley
Seit Jahren wird nach einem Mittel gesucht, das gegen die oft tödlichen Giftcocktails verschiedener Schlangenarten hilft. Nun ist ein wichtiger Schritt zu einem universellen Antivenom geglückt. Dessen Herstellung könnte zudem auch weniger Tierleid bedeuten

Es soll der erste Schritt auf dem Weg zu einem universellen Antivenom gegen Schlangengifte sein. Ein breit neutralisierender Antikörper schützt vor Toxinen einer ganzen Familie von Schlangen: der Giftnattern (Elapidae). Zu dieser – neben den Vipern (Viperidae) – zweiten großen Gruppe der Giftschlangen gehören außer Kobras und Kraits auch Mambas, Seeschlangen und die extrem giftigen Taipane. 

Jede dieser Arten produziert einen eigenen Cocktail aus verschiedenen Giften: Gefährlich sind bei allen Giftnattern insbesondere die nach ihrer dreigliedrigen Form benannten 3-Finger-Toxine (3FTxs), die unter anderem teils auf Nerven, teils auf das Herz und teils auf Zellen und Gewebe wirken und Lähmungen hervorrufen. Sie soll der nun vorgestellte Antikörper unschädlich machen. Guido Westhoff, Vorsitzender des Serum-Depots Deutschland, spricht von einem bahnbrechenden Vorgehen des Teams, das in vielerlei Hinsicht hochinteressant sei.

Jährlich hunderttausende Opfer von Schlangenbissen 

Jedes Jahr sterben weltweit bis zu 138 000 Menschen an Schlangenbissen - vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika. Zudem erleiden rund 400 000 Menschen bleibende Schäden wie etwa Sehverlust oder Amputationen von Gliedmaßen. Ein Problem ist, dass Schlangengifte oft Cocktails von Stoffen enthält, die aus verschiedenen Toxinfamilien stammen und unterschiedliche Organsysteme schädigen. Gegengifte sind meist teuer und unzuverlässig, haben Risiken und sind gerade in ländlichen Regionen, wo die meisten Menschen gebissen werden, kaum verfügbar.

Tom Rahill navigiert sein Boot zu einer Insel in den Sümpfen der Everglades, er kennt die Gegend wie nur wenige Menschen. Und weiß deshalb um den Schaden, den Tigerpythons anrichten: Fast alle Waschbären, Opossums, Luchse, Kaninchen und Füchse sind in den Mägen der Schlangen verschwunden

Everglades Unterwegs mit den Python-Jägern von Florida

Einmal im Jahr ziehen Hunderte Freiwillige in Floridas Sümpfe, um zu jagen. Sie sollen eine gefräßige Schlange aus dem Paradies vertreiben, die der Mensch dort eingeschleppt hat: den Dunklen Tigerpython

Derzeit gewinnt man diese Antivenome, indem man etwa Pferden oder Rindern ein Schlangengift verabreicht und dann aus ihrem Blutserum Antikörper isoliert. Dies ist jedoch extrem aufwendig und hilft – wenn überhaupt – allenfalls bei Bissen eng verwandter Arten. "Mir tun die Tiere sehr leid, die diese Schlangengifte bekommen", sagt Westhoff, der auch zoologischer Direktor des Tierparks Hagenbeck ist. "Diese Quälerei sollte man vermeiden. Da ist diese Studie ein Befreiungsschlag."

Ein Mittel gegen die häufigsten Toxine

Ziel der Forschung ist seit Langem ein universell einsetzbares Antivenom, das gegen Bisse verschiedenster Schlangen hilft. Doch das ist schwierig - immerhin sind etwa 600 der insgesamt 3000 Schlangenarten weltweit giftig.

Das Team um Kartik Sunagar vom Indian Institute of Science in Bangalore und Joseph Jardine vom Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla konzentrierte sich nun auf Antikörper gegen 3-Finger-Toxine (3FTx) wie etwa Bungarotoxin. Diese zählten zu den häufigsten und tödlichsten Toxinen von Giftnattern, schreibt die Gruppe im Fachjournal "Science Translational Medicine".

Recherche in Milliarden menschlichen Antikörpern

Dabei suchte das Team zunächst nach 3FTx-Proteinen, die sich bei verschiedenen Giftnattern stark ähneln. Dann durchforsteten sie Datenbanken mit Milliarden menschlichen Antikörpern nach jenen, die besonders gut an diese verschiedene 3FTx-Varianten binden können. Dabei stießen sie auf den Antikörper 95Mat5, der an die sieben langkettigen Varianten dieser Toxingruppe (3FTx-L) andockt.

"Wir konnten uns auf den sehr geringen Prozentsatz jener Antikörper fokussieren, die mit all diesen verschiedenen Toxinen kreuzreagierten", sagt Mitautorin und Scripps-Forscherin Irene Khalek. Das Team stellte den Antikörper 95Mat5 synthetisch her und testete dessen Schutzwirkung an Mäusen, denen bestimmte Giftstoffe oder aber Gift verschiedener Giftnattern injiziert wurden. Dazu zählten

  • der Vielgebänderte Krait (Bungarus multicinctus),
  • die Monokelkobra (Naja kaouthia),
  • die Schwarze Mamba (Dendroaspis polylepis)
  • und die Königskobra (Ophiophagus hannah).

Der Antikörper steigerte die Überlebensrate drastisch, bei den meisten Giften überlebten alle behandelten Tiere. Lediglich gegen das Gift der Königskobra bot der Antikörper keinen kompletten Schutz. Dies begründet das Team mit der Komplexität dieses speziellen Giftcocktails. Den generellen Schutzeffekt von 95Mat5 führt es darauf zurück, dass der Antikörper jenem menschlichen Protein ähnelt, an das diese Gifte gewöhnlich binden.

"Insgesamt zeigen diese Daten, dass ein einzelner Antikörper breiten Schutz gegen Gifte bietet, die 3FTx-L enthalten und dass er kommerziellen Antivenomen überlegen ist", schreibt die Gruppe.

Ein Antikörper allein wird nicht reichen

Auch wenn der Antikörper sich als vielversprechend erwiesen habe, sei er allein nicht ausreichend als universelles Antivenom. "Da Schlangengift ein komplexer Cocktail von Toxinen ist, erfordert dies den Einschluss von breit neutralisierenden Antikörpern gegen mehrere weitere Giftklassen, darunter kurzkettige 3FTx und Phospholipasen in Giftnattern und Metallproteinasen, Phospholipasen und Serinproteasen in Vipern", heißt es. "Daher bräuchte ein abschließendes universelles Antivenom wahrscheinlich mindestens vier bis fünf Antikörper, um die zusätzlichen Giftgruppen effektiv abzudecken."

Doch da 95Mat5 einen der vielfältigsten und giftigsten Bestandteile von Schlangengiften neutralisiere, sei seine Entdeckung ein wichtiger erster Schritt hin zu einem Universal-Antivenom. Derzeit sucht das Team des Scripps Research Institute nach Antikörpern gegen ein weiteres Toxin von Giftnattern sowie gegen zwei Vipern-Toxine.

Der Hamburger Experte Westhoff betrachtet vor allem die Methodik als Durchbruch. Dass man solche Antikörper synthetisch herstellen könne, vermeide nicht nur Leid bei den bisherigen Versuchstieren wie etwa Pferden. Auch gebissene Menschen profitierten davon: Bei aus Tieren isolierten Antikörpern drohe den behandelten Menschen etwa das Risiko eines anaphylaktischen Schocks – und dies bei ohnehin ungewissem Therapieerfolg. Das ändere sich mit dem neuen Vorgehen. "Solche synthetischen Antikörper lassen sich einfacher und günstiger herstellen und wirken viel spezifischer und risikoärmer", betont der Experte.