Sind Sie schon einmal tiefenentspannt in den Urlaub aufgebrochen? Ausgeglichen und voller Freude auf den Sehnsuchtsort? Herzlichen Glückwunsch, dann müssen Sie nicht weiterlesen, es sei denn, Sie haben Lust auf einen gewissen Grusel. Ich selbst kenne leider kaum solche Menschen. Genau das hat mich motiviert, eine Stress- und Urlaubsforscherin zur Psychologie des entspannten Ferienstarts zu interviewen.
In der Vergangenheit durfte ich bei mir und bei Kollegen einige bizarre Phänomene beobachten. Besonders eindrücklich erinnere ich mich an eine ehemalige Chefin, die buchstäblich alles falsch machte, zumindest aus Sicht der wissenschaftlichen Stressforschung. Sie hatte wohl die perfekte Übergabe im Sinn und versuchte jeden Vorgang vor ihren Ferien selbst (!) abzuschließen oder schrieb ellenlange Übergabebriefings. Sie flitzte gestresst hin und her, blieb vor dem Urlaub noch bis spät abends in der Redaktion. Alle waren insgeheim froh, als sie weg war.
Die Übergabe im Büro
"Ganz falsch", sagt Professorin Christine Syrek. Die Urlaubsforscherin und Wirtschaftspsychologin hat unter anderem zu "unerledigten Aufgaben" geforscht. Sie hat für dieses Vorgehen ein Bild: Wer mit einem entsprechend hohen Stresspegel in den Urlaub startet, weil er den Anspruch an sich hat, alle liegen gebliebenen Aufgaben zu erledigen, "der beginnt die Ferien so, als würde er mit 200 Stundenkilometern auf eine Autobahnraststätte rauschen, um abrupt auf dem Rastplatz die Handbremse zu ziehen".
Syrek hat einen anderen Vorschlag: "Zwar wissen wir, dass es entlastend wirkt, Aufgaben abzuschließen." Doch wir könnten uns ebenso mit einem Kniff behelfen. Dabei konzipiert man einen Plan, wie es mit den Projekten nach dem Urlaub weitergehen soll. "Die Folge: Man schleppt sie innerlich nicht mit." Diese Methode führe zu mentaler Entlastung, da man die Aufgaben nicht kognitiv im Urlaub präsent halten muss.
Stresshormone runterregulieren
Doch übersteigerter Perfektionismus ist nur ein Problem. Viele arbeiten einfach bis zum letzten Tag und geraten dann in den Stress, den Koffer zu packen, die nötigen Einkäufe zu erledigen oder einfach die Waschmaschine rechtzeitig für den Urlaub anzuwerfen, um frische und trockene Wäsche in den Koffer zu packen. Auch das führt zu dem nur allzu bekannten Problem, dass einem die Zeit vor der Abreise davonrennt und der Einfluss von Stresshormonen zunimmt.
Ich habe bereits erlebt, wie sich die gesamte Familie beim Beladen des Autos anbrüllte und die Stimmung in Beziehungen auf dem Nullpunkt war, weil entscheidende Reisedokumente unauffindbar waren oder Medikamente fehlten. Urlaubsforscher raten deswegen dazu, bereits mindestens einen Tag vor der Abreise Urlaub zu nehmen. So ist Zeit, die Reise vorzubereiten, und es bietet sich die Möglichkeit, noch einmal zu joggen oder sich zu bewegen. Das ist gut, um Stresshormone aus dem Körper zu spülen.
Denn die können bei empfindlichen Menschen für Trubel sorgen. Flugangstexperten etwa raten seit Langem zu solchen Maßnahmen. Denn ist der Stresshormonspiegel im Blut hoch, ist es viel wahrscheinlicher, dass Betroffene auf einer Reise von ihren Ängsten heimgesucht werden und sie schlecht runterregulieren können.
Signale des Ankommens
Auch alle, die unter Reiseübelkeit leiden, sollten die Rolle des Nervensystems und des vegetativen Gleichgewichts nicht unterschätzen: Wer gestresst ist, ängstlich oder sich auf die befürchteten Symptome fokussiert, schafft den Nährboden, der das Auftreten der Übelkeit wahrscheinlicher macht. Besser ist es, vor dem Reisetag noch einmal die Stressachse im Körper durch Bewegung oder Meditation selbst herrunterzuregulieren.
Die Stresshormonachse koordiniert im Körper die Kommunikation vom Hypothalamus im Gehirn an die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) und die Nebennierenrinde. Durch entsprechende Stresssignale aus dem Gehirn kann eine Hormonkaskade in unserem Körper in Gang gesetzt werden – die ungefähr das Gegenteil von Urlaubserholung ist.
Bei Signalen aus dem Gehirn wird zunächst Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt und schließlich nach einiger Zeit das Stresshormon Kortisol in die Blutbahn ausgeschüttet. Kommen vom Körper keine Signale der Entspannung, so führt das dazu, dass der Körper in dauernder Alarmbereitschaft bleibt und wir noch empfindlicher auf neue Stressoren reagieren, Stresssignale weniger gut abpuffern können. Ein anhaltender Stresskreislauf befeuert sich.
Endlich angekommen am Urlaubsort? Hoffentlich sind Sie mit der Unterkunft und dem Ferienort zufrieden! Die Stress- und Urlaubsforscherin Syrek stimmt sich stets mit einem persönlichen Ritual ein. "Der Ferienstart ist für mich stark damit verbunden, mich in ein Café zu setzen und das Gefühl zu bekommen: Jetzt sind wir im Urlaub! Dann lasse ich den Blick über die Berge schweifen oder den Marktplatz und genieße etwas Süßes."
Prävention und Promotion
Für die Forscherin ein klares Urlaubsstartsignal. Vielleicht finden Sie für sich oder Ihre Familie ein ähnlich schönes Symbol des Ankommens, das Ihrem Gehirn Ruhe vermittelt. Etwas individuell Stimmiges ist noch hilfreicher, als lediglich Empfehlungen von Experten zu adaptieren.
Nun ist der Start geschafft: Aus Sicht der Stress- und Urlaubsforschung gibt es zwei zentrale Mechanismen für gute Erholung in der kommenden Zeit. Sie beruhen auf zwei wesentlichen Prinzipien für Ausgleich: Fachleute sprechen von "Prävention" und "Promotion". Erstere versucht, Energieverlust, etwa durch eine Vollzeitbeschäftigung oder Doppelbelastung zu stoppen und eingebüßte Kräfte wieder zu erneuern. Promotion bezeichnet den erhebenden Mechanismus, wenn wir neue Ressourcen im Urlaub ausbilden.
Syrek: "Wir wollen in den Ferien abschalten durch gedankliche Ruhe von der Arbeit, uns durch geringe Beanspruchung entspannen, wie etwa bei der Lektüre eines Buches oder beim Spazierengehen. Zugleich profitieren wir, wenn wir wohldosierte Herausforderungen meistern und unseren Geist anregen."
Was so viel bedeutet wie: Ein Urlaub, bei dem nur gechillt wird, ist weniger entspannend, als sich neugierig der Umgebung, den Menschen und der Kultur zuzuwenden. Eine solche Reise erfrischt nach allen Erkenntnissen der Wissenschaft nachhaltiger.
Und vergessen Sie bitte nicht: Das Gleiche gilt natürlich auch für die möglichst relaxte Heimreise. Treten Sie erst im Job wieder an, nachdem Sie einen Puffertag daheim hatten, an dem sich die Eindrücke und Erinnerungen Ihrer Ferien auch zu einem sinnvollen Ganzen kristallisieren konnten.